Soll die Kunst das Leben ... BESSERN?

Vor 125 Jahren geboren: Gottfried Benn

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
Soll die Kunst das Leben ... BESSERN?

Als Gottfried Benn am 7. Juli 1956 stirbt, schreibt Johannes R. Becher ein Gedicht. Das ist so voll trauriger Resignation, als trete nun er die Erbschaft der Melancholie an, wolle dem Klang der späten Verse Benns ein Asyl bieten: »Er ist geschieden, wie er lebte: streng/ Und diese Größe einte uns: die Strenge./ Uns beiden war vormals die Welt zu eng./ Wir blieben einsam im Gedränge.// Unwürdig wäre ein nihil nisi bene./ Der Juli summt ein Lied dir: ›Muß i denn ...‹/ Mein Vers weint eine harte, strenge Träne,/ Denn er nahm Abschied von uns: Gottfried Benn.«

Zwei deutsche Dichter, die einen Platz mitten im Irrsinn des 20. Jahrhunderts suchten, gemeinsam im Fieber des expressionistischen Berlins vor dem ersten Weltkrieg die Visionen von Weltende und Weltaufgang herausgeschrien hatten. In den 20er Jahren wurden sie zu Widersachern.

Soll die Kunst das Leben bessern? Diese Frage hatte Benn noch kurz vor seinem Tod, in einem berühmt gewordenen Vortrag, wieder aufgenommen. Die Aufgabe der Kunst, besonders in ihrem Verhältnis zur Politik, das war der Anstoß der Kontroverse zwischen Becher und Benn – bereits 1930 gab es dazu ein Rundfunkgespräch zwischen beiden, das unversöhnlich endete. Wer Bechers späte Schrift »Das poetische Prinzip« jedoch im Vergleich zu Benns Spätwerk »Der Ptolemäer« liest, erblickt mehr Verbindendes als Trennendes: zwei moderne Stoiker, die sich mittels Kunst gegen die Dominanz einer verderblichen Politik zu wehren versuchen. Benn wollte nie an eine weltverbessernde Wirkung der Kunst glauben, sie war ihm – im goethischen Sinne – ein Mittel der Selbstvervollkommnung, notfalls auch gegen die ganze Welt gewandt: »Kunst ist eine Sache von 50 Leuten, davon noch 30 nicht normal sind. Was große Verlage verlegen, ist keine Kunst, sondern Arbeit von Leuten, die ihrer Mittelmäßgkeit schriftstellerisch gerecht werden.«

Bis Ende der 20er Jahre schreibt Benn, durchaus ein Feind der Weimarer Republik, was ihn sowohl mit den Nazis als auch mit den Kommunisten verband, für die »Weltbühne«, so den berühmten Text »Dein Körper gehört dir« gegen den Abtreibungsverbotsparagraphen 218. Benn als Kassenarzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten (eine Mark pro Quartal pro Patient, da geht es nicht ums Reichwerden) kennt das Elend der Straße, behandelt die Huren vom Ku'damm auch schon mal umsonst. Er liebt starke Sprüche über seine »Schmutzfinken« von Patienten, aber zeigt sich im Stillen mitleidig.

Kein Modearzt, sondern einer, der heimlich Abtreibungen vornimmt, den gerade die Elenden seiner Patienten vergöttern, weil er gegen sie ohne jeden Dünkel ist. Das ist ein Erbe des Pfarrhauses, wie sein Bruder Ernst-Viktor erinnert: »Gerade die einfachen Leute hingen an ihm, weil sie empfanden, daß er auch sie und ihre Nöte ernst nahm. Wir Kinder hätten uns nie einfallen lassen dürfen, von einem Landarbeiter ohne den Zusatz ›Herr‹ zu sprechen.«

Gottfried Benn wurzelt tief in der Tradition des protestantischen Pfarrhauses. Eine eigensinnige, fast störrisch zu nennende Form von Autonomie wächst hier. Am 2. Mai 1886 wird er in Mansfeld in der Westprignitz in derselben Stube des Pfarrhauses geboren, in der schon sein Vater, Gustav Benn zur Welt kam. Dieser Vater gehört zum pietistischen Kreis um den Grafen Trossin, deren Mittelpunkt Pfarrer Blumhardt in Bad Boll war – der gleiche Kreis, zu dem auch Hermann Hesses Eltern gehören. Blumhardt ist eine Mischung aus Wunderheiler, Sektenguru und Sozialreformer. Er ist sogar eine Zeit lang für die SPD Abgeordneter im Landtag. Darum liest man im Hause Benn neben der stockkonservativen »Kreuzzeitung« immer auch den sozialdemokratischen »Vorwärts«. Benn erinnert sich daran in einem berühmten Gedicht: »In meinem Elternhaus hingen keine Gainsbouroughs / wurde auch kein Chopin gespielt / ganz amusisches Gedankenleben / mein Vater war einmal im Theater gewesen / Anfang des Jahrhunderts / Wildenbruchs ›Haubenlerche‹ / davon zehrten wir / das war alles.«

In den 20er Jahren kommt zur Lyrik immer mehr Prosa und eine Essayistik, die ihresgleichen sucht. »Provoziertes Leben« wird er später eine Aufsatzsammlung nennen – und tatsächlich, er versteht es schreibend niemanden gleichgültig zu lassen. Als 1931 die »Weltbühne« seinen Aufsatz »Die neue literarische Saison« druckt, findet sich darin nicht nur eine Verhöhnung jener »Bücher der Saison«, diese Vorläufer der medial hochgejubelten Bestseller, sondern auch ein Frontalangriff auf den Sowjetagitator Tretjakow (den Stalin 1939 ermorden lässt), der in Berlin einen Vortrag hielt, bei dem Benn anwesend war. Für ihn ein »literarischer Tschekatyp, der alle Andersgläubigen in Rußland verhört und bestraft«. Es bricht ein furchtbarer Zorn der orthodoxen Linken um Becher und Kisch über ihn herein. Beistand gibt es auch, so von Ludwig Marcuse, der schreibt, jeder der »diesen Soziologie-Fetischismus« nicht mitmache, werde als Reaktionär verfemt: »Kunst ist Waffe, so wie der Regenschirm Waffe ist: man kann ihn auch zum Schlagen benutzen; nur ist es dann kein Regenschirm mehr.«

Mit Nietzsche und dem »Gott seiner Jugend», dem frühen Heinrich Mann (den er 1933 schnöde verraten wird), sieht Benn einen unweigerlichen Niedergang des Niveaus, wenn Mehrheiten über geistige Dinge entscheiden. 1933 glaubt er tatsächlich daran, dass er Teil einer Revolution sei, eine Art deutscher Marinetti (der geistverwandte Futurist war im faschistischen Italien offizieller Staatsdichter geworden). Sein bis dahin großer Bewunderer Klaus Mann ist entsetzt: Benn beschimpft im Radio die Exilanten! In seinem Roman »Mephisto« wird er ihn dann als »Dichter Pelz« auftreten lassen: ein ekliges Männchen.

Benn, der notorische Außenseiter, aber ist wie im Rausch. Endlich einmal nicht mehr Nein-Sagen, einmal auch Ja-Sagen, Teil einer Massen-Euphorie sein! Ein bitterer Irrtum, wie er bald erkennen muss. Denn für die Nazis bleibt der vormalige Expressionist ein Produzent entarteter Kunst. Schon 1935 notiert er ernüchtert über die Wirklichkeit des NS-Staates: »›Auslese nach unten‹. Darwinismus rückwärts – das wäre die Formel, die über allem schwebt.«

Wie soll sich ein Intellektueller dem Staat gegenüber verhalten, wie kann er künftige Verführungen, in diesem eine Rolle zu spielen, überhaupt ausschließen? Oder hängt alles davon ab, was für ein Staat es ist? Das glaubt Benn nach 1945 nicht mehr. Der »Ptolemäer« des Alterswerks ist ein Nicht-mehr-mit-Machender, der das »Ohne mich« kultiviert. Für das 21. Jahrhundert sieht er nur noch Verbrecher (Handelnde) und Mönche (Nicht-Handelnde) und bekennt: »... Und ich plädiere für die schwarzen Kutten.« Alle Handlung beschleunige nur den Verfall, so Benn, der ein Kloster aus einsamer Widersätzlichkeit um sich herum baut. Statik wird subversiv inmitten einer sich vor Dynamik überschlagenden Welt.

Im November 1945 notiert er: »Ich lebe völlig allein. Damals unerwünscht, heute von neuem unerwünscht, also wirklich absolut und weitreichend unerwünscht, ich finde das richtig u. eine Bestätigung meines Grundgefühls, daß Kunst außerhalb der Zusammenhänge von Staat und Gesellschaft steht u. daß ihre Ablehnung durch die Welt zu ihr gehört.« Im »Berliner Brief, Juli 1948« bricht es mit kalkulierter Aggression aus ihm heraus: »Der Ruhm hat keine weißen Flügel, sagt Balzac; aber wenn man wie ich die letzten fünfzehn Jahre lang von den Nazis als Schwein, von den Kommunisten als Trottel, von den Demokraten als geistig Prostituierter, von den Emigranten als Renegat, von den Religiösen als pathologischer Nihilist öffentlich bezeichnet wird, ist man nicht so scharf darauf, wieder in diese Öffentlichkeit einzudringen.«

Da ist er also immer noch, trotz Hunger und Kälte des Nachkriegs-Berlins, der alte Hass auf eine sich restaurierende bürgerliche Gesellschaft, deren Horizont sich auf Höhensonne, Busreisen und Rentenaussichten einschrumpfen lässt. Davon hatte er sich schon in seiner frühen expressionistischen Phase ruckartig abgewandt und beschlossen, dass er die Bequemlichkeitsrituale jenes notorisch guten Gewissens, das den Bürgern wie eine tödliche Krankheit anhaftet, nicht mitmachen wird. »Komm, hebe ruhig diese Decke auf« – darin ist er sich treu geblieben, auch wenn er zu lange die Lügendecke der Weimarer Republik im Blick hatte und nicht sehen wollte, was da 1933 an niedrigem Masseninstinkt hoch kam.

Gunnar Decker ist Autor der Biografie »Gottfried Benn. Genie und Barbar«, erschienen als Aufbau Taschenbuch.

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