Der Intellekt und die Couch

Sigmar Gabriel und Dietmar Bartsch im »stern«

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 7 Min.

Nun liegt es auf fünf Seiten vor, das »stern«-Gespräch, in dem SPD-Parteichef Sigmar Gabriel dem Vize-Vorsitzenden der Linksfraktion Dietmar Bartsch zuruft: »Kommt zu uns, Genossen!«. Auf ihrer Couch zähle »nur Intellekt«, meinen die Illustrierten-Reporter Andreas Hoidn-Borchers und Hans-Ulrich Jörges einleitend. Man findet ihn dort nicht durchgängig.

Dietmar Bartsch grenzt sich gegen Meinungen in seiner Partei ab, die sagen: Solange die Sozialdemokraten »nicht die Kriegskredite von 1914 zurückgezahlt haben, reden wir nicht mit denen«. Hat irgendjemand irgendwo mal gehört, die SPD solle die Kriegskredite von 1914 »zurückzahlen«? Bartsch sagt auch: »Der KGB hat manchen erst zum Sozialdemokraten gemacht. Herbert Wehner ging als Kommunist nach Moskau und kam als Sozialdemokrat wieder.« Das ist, vorsichtig gesagt, ein arger Zeitraffer: Wehner war von 1935 bis 1941 im Moskauer Exil, ging als Kommunist nach Skandinavien, um dort am Widerstand gegen das Nazi-Regime teilzunehmen, saß von 1942 bis zum Kriegsende in einem schwedischen Gefängnis, wandte sich in dieser Zeit von der stalinistischen Politik ab. Der KGB wurde 1954, acht Jahre nach Wehners Ausschluss aus der KPD und seinem Wechsel zur SPD (1946) gegründet.

Es mögen für das Gesprächsthema unwichtige Lappalien sein, bei Sigmar Gabriel ist das anders und auch ein bisschen komplizierter. Er müht sich mit der These ab, dass die LINKE in zwei Parteien gespalten sei. Die einen etikettiert er als Pragmatiker und Regierungswillige im Osten, die anderen als Kommunisten und Regierungsunwillige im Westen. Logisch könnte daraus folgen, dass die SPD etwa in Sachsen-Anhalt an einer Zusammenarbeit mit der LINKEN interessiert sei, in Nordrhein-Westfalen dagegen nicht. Nun ist es aber genau umgekehrt, und auch das seinerzeitige Angebot der hessischen LINKEN für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen nach der Landtagswahl 2008 scheiterte bekanntlich nicht an westkommunistischem Unwillen, sondern an den Torpedos in der SPD. Gabriel lässt sich auf entsprechende Nachfragen seines Gesprächspartners dazu lieber nicht ein. Die SPD-Haltung gegenüber der LINKEN schnurrt im Alltag ohnehin auf zwei Standards zusammen: Sie ist zur Zusammenarbeit bereit, wenn sie die LINKE für eigene Regierungsansprüche benötigt; und sie ist dies dann nicht, wenn sie dabei nur die zweite Geige spielt.

Was will Gabriel also von der LINKEN? Nun ja, für die eigene Partei reformorientierte Genossen wie Bartsch anwerben, »ein Ausnahmetalent in der deutschen Politik«, wie er schwärmt. Die SPD hat einen hohen Verschleiß. Und sonst? Eine Vereinigung von SPD und LINKEN, sagt Gabriel, will er »ganz sicher nicht«. Aber auch: Es gehe »nicht darum, die Linkspartei aufzulösen«. Also hofft er auf einen innerparteilichen Sieg der von ihm hofierten Reformlinken, damit künftiger Zusammenarbeit in einer »Mehrheit diesseits der Union« (Willy Brandt) aus seiner Sicht weniger im Weg stünde? Doch das, was man als folgerichtig annehmen könnte, scheint Gabriel das am wenigsten Wünschenswerte. Er sieht die LINKE »in einem schwierigen Klärungsprozess« und setzt darauf, dass die Reformer der LINKEN sich in der SPD »eine neue politische Heimat suchen«. Zusammengefasst: Gabriel will die Schmelzung der LINKEN auf einen – in seiner Denkweise – kommunistischen Rest, der sich mit sozialdemokratischen Mitteln leichter ausgrenzen und bekämpfen lässt.

Gabriels Lockrufe an den so genannten Reformerflügel der LINKEN sind dabei eine ziemliche Eierei. »Ich möchte niemanden kaufen«, sagt er. Und: »Wenn man Menschen nur bekäme, weil man ihnen Angebote gemacht hat, dann müsste man sich fragen: Will man die eigentlich?« Dann aber nennt er es sein »Ziel«, ihnen »ein politisches Angebot zu machen«. Und verspricht, dass es nicht nur um ein politisches, sondern auch um eines von Ämtern geht: »Solche Leute haben immer in ihrer neuen Partei auch Funktionen bekommen.«

Plumper kann man kaum versuchen, den ewigen Keil zu treiben und dabei gerade jenen Zündstoff zu geben, die man angeblich attackieren will. Gabriel scheint sich nicht einmal eines gedanklichen Widerspruchs bewusst zu sein: Einerseits empört er sich, wie man »20 Jahre nach der Wende eigentlich Menschen noch ihre Biografie vorwerfen« kann, »wenn sie nichts verbrochen haben« – garniert mit dem untauglichen Vergleich, man solle »nicht jedem Straftäter mehr Resozialisierungschancen geben als jemandem, der mal in der SED war«. Andererseits erteilt er allen LINKEN eine Absage, die keinen Gefallen daran fanden, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu wählen. Denen sage er: »Bleib lieber da, wo du bist, du bist bei uns fehl am Platze.« Die Nichtwahl von Gauck: eine schlimmere »Straftat«, als in der SED gewesen zu sein?

Unbekannt ist, ob Dietmar Bartsch dieses Kriterium überhaupt erfüllt. Angeblich hatten sich die Wahlmänner und -frauen der LINKEN im dritten Wahlgang der Bundesversammlung am 30. Juni 2010, als die eigene Kandidatin Luc Jochimsen nicht mehr antrat und es nur noch um Christian Wulff oder Joachim Gauck ging, auf eine Stimmenthaltung verständigt. Aber vielleicht weiß Gabriel mehr. Dietmar Bartsch jedenfalls antwortet auf das Garn des SPD-Chefs, er habe »eine sehr emotionale Bindung« an seine Partei, und die SPD sei »im Moment nicht sonderlich attraktiv«. Um dann anzufügen: »Um mich dorthin zu kriegen, müsste die Linke sich so entwickeln, dass sie nicht mehr meine Partei wäre.«

Das mag pfiffig und galant klingen, es hinterlässt aber auch ein Hintergrundgeräusch, dass es weniger von einer Änderung der SPD-Politik abhänge als von der Entwicklung der eigenen Partei, ob Gabriels Lockruf erfolgsgekrönt wird. Zumal Bartsch in einem bislang trennenden Punkt Entwarnung sieht: »Wir wollen doch inzwischen beide raus aus Afghanistan.« Nur liegen mindestens noch ein paar Jahre Krieg dazwischen. Zum nächsten Kriegsschauplatz, nach Libyen, wollte die SPD sogar eiliger als Angela Merkel, aber das wie auch anderen konkreten Streit umschifft das Couch-Gespräch.

Um dennoch kein Missverständnis zu erzeugen: Bartsch verficht im Unterschied zum SPD-Chef die Existenz von »zwei starken eigenständigen Parteien..., die gemeinsam regierungsfähig in den Ländern und im Bund sind und die durchaus unterschiedliche soziale Gruppen und Interessen repräsentieren«. Dies hätte das Spannende, intellektuell Herausfordernde an dem Gespräch sein können, wenn der SPD-Vorsitzende sich diskutierend auf Bartschs »strategische Frage« eingelassen hätte, ob die Chancen der SPD »in der Mitte« nicht mit davon abhängen, dass es »links von ihr noch eine demokratische, zukunftsorientierte Partei gibt, die bündnisfähig ist«. Gabriel wischt dies mit der Bemerkung weg, die Linkspartei habe sich »längst zu einer Regionalpartei für den Osten entwickelt«. Dabei enthält diese These durchaus unerforschten Stoff auch für Rückfragen an die LINKE: Was machte es dann nämlich für einen Sinn, wie es einige LINKE-Politiker – hier nicht Bartsch – vertreten, sich die SPD ähnlich der LINKEN zu wünschen (was die LINKE schließlich überflüssig machen und die These der »zwei eigenständigen Parteien« ad absurdum führen würde) –, statt sich mit einem Vorschlag zu begnügen, der die Bündnisfähigkeit der Sozialdemokratie aus Respekt gegenüber anderen, gesellschaftlich nicht unerheblichen Auffassungen einfordert?

Dietmar Bartsch deutet diese mögliche Dimension einer ernsthaften Debatte zwischen SPD und LINKEN an, sie wäre tatsächlich etwas Neues. Jedoch bereiten ihm dabei ehemalige SPD-Mitglieder, die zur LINKEN wechselten, augenscheinlich mehr Kopfzerbrechen als Gabriels verbliebene Genossen. Über erstgenannte beklagt Bartsch sich gleich zweimal in dem Interview. Der innerparteilichen Diskussion der LINKEN wird dieser Aspekt nicht dienen.

An einer Stelle fragen die Reporter »Sigmar Bartsch« um seine Meinung. Bartsch sagt »Dietmar, bitte«. Gabriel lässt sein Lachen notieren und sekundiert »Was meinen Sie, wie oft ich Dietmar genannt werde?«. Sehr putzig, das alles. Auf Plauderniveau wird auch anderes gezerrt. Bartsch: »Wer die Gesellschaft sozial gerecht machen will, den kann es doch angesichts der heutigen Regierung nur schaudern.« Es wäre besser, es würde aufrütteln und dies dem Gespräch auch anzumerken sein. Gabriel: »Mittelstand und Unternehmer sind bei uns eben Sozialpartner und nicht der Klassenfeind.« Geschenkt – der »Klassenfeind« taucht nur noch in Schmähungen gegen die LINKE auf, selbst auf der Website von LINKE-Vize Sahra Wagenknecht, die Gabriel ausdrücklich nicht als SPD-Mitglied will, kann man den Begriff nicht googeln.

Bleibt noch zu fragen: Journalisten machen keine Politik? Einer der beiden »stern«-Reporter, Hans-Ulrich Jörges, schrieb vier Wochen zuvor in seiner Hausillustrierten eine Kolumne »Operation am roten Herzen«. Darin empfahl er, die SPD solle »den pragmatischen und einigungswilligen Teilen der Linkspartei ... die Aufnahme anbieten, verbunden mit der Zusicherung von Mandaten und Führungspositionen auf allen Ebenen... Der kommunistische und querulatorische Rest möge zurückbleiben.« Jörges war sich sicher, es fehle »nur noch das Signal, auf das sie womöglich längst warten«.

Dafür lud er Gabriel nun als Erzengel ein. Der blies auf seiner Posaune Jörges' Komposition notentreu nach. Selbst die Empfehlung des »stern«-Journalisten, der LINKE-Vorsitzende Klaus Ernst solle zur SPD zurückkehren, repetiert Gabriel brav: Dieser habe sich »in die Linkspartei verirrt«. Um den SPD-Vorsitzenden an ein wohl vergessenes Detail zu erinnern: Klaus Ernst wurde 2004, noch vor Gründung der LINKEN, aus der SPD ausgeschlossen – auf Antrag des Parteivorstandes, dem Sigmar Gabriel zu dieser Zeit als Pop-Beauftragter angehörte.

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