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Gaskraftwerk verzweifelt gesucht

Stromversorger in Bayern fordern Unterstützung des Bundes bei Investitionen

  • Carsten Hoefer, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Gleich zu Beginn der Energiewende türmt sich eine riesige Hürde auf: Die Bundesregierung hat neue Gaskraftwerke als Ersatz für stillgelegte Atomkraftwerke fest eingeplant. Doch die meisten Stromversorger wollen hier nicht investieren – zu teuer.

Paradebeispiel ist Bayern, das Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zum Vorreiter der Energiewende machen will. Das Münchner Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass im Freistaat Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 3000 bis 4000 Megawatt neu gebaut werden müssten, die durch die Stilllegung der fünf bayerischen Atomkraftwerke wegfallen. Diese 3000 bis 4000 Megawatt Ersatzkapazität sind nicht in Sicht.

Seehofer malt die geplante Energiewende in den schönsten Farben: Der Strom soll grüner werden, bestimmt nicht teurer und möglicherweise sogar billiger. Vier bayerische Atomkraftwerke sind derzeit noch in Betrieb. Die Hälfte ihrer Stromproduktion will Seehofer durch erneuerbare Energien ersetzen, die andere Hälfte sollen zwei bis vier neue Gaskraftwerke beisteuern. »Wenn wir das nicht zustande bringen, wären wir kein hochindustrialisiertes Land, sondern ein Nachtwächterstaat«, sagte Seehofer am Donnerstag.

Derzeit sind in Bayern zwei neue Gaskraftwerke in Sicht, die aber die prophezeite Stromlücke nicht schließen werden: Im oberbayerischen Irsching soll im Sommer ein neuer Block mit einer Leistung von 555 Megawatt ans Netz gehen. Bis 2015 will der österreichische Konzern OMV im oberbayerischen Haiming ein Gaskraftwerk mit 800 Megawatt in Betrieb nehmen.

Gaskraftwerk könnte Verlustgeschäft sein

Daneben planen die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm (SMU) derzeit ein neues Gaskraftwerk auf dem Gelände eines alten Fliegerhorsts im schwäbischen Leipheim. Doch das Leipheimer Projekt ist noch im Anfangsstadium. »Es hängt davon ab, ob sich das wirtschaftlich rechnet«, sagt Sprecher Bernd Jünke. Denn unter den derzeitigen Bedingungen sei völlig unklar, ob ein Gaskraftwerk nicht ein teures Verlustgeschäft wird. »Wir arbeiten momentan an keinen weiteren Plänen für neue Gaskraftwerke«, sagt E.on-Sprecher Christian Orschler. E.on will auch ein angedachtes neues Kraftwerk im niederbayerischen Pleinting nicht bauen. »Beim heutigen Stand sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass das wirtschaftlich nicht darstellbar ist«, sagt der Unternehmenssprecher dazu.

Die Konkurrenz von RWE wahrt Stillschweigen – doch Branchenkreise sagen, dass auch der Essener Konzern kein Interesse am Bau neuer Gaskraftwerke in Deutschland hat. »Mit Gaskraftwerken verdient man in Deutschland derzeit oft nur noch in den Wintermonaten zwischen 17 und 20 Uhr Geld«, klagte RWE-Chef Jürgen Großmann im Frühjahr. Denn der Rohstoff Gas ist im Einkauf teuer, der Bau eines Gaskraftwerks kostet eine hohe dreistellige Millionensumme. Verkaufen lässt sich teurer Gasstrom hauptsächlich im Winter und zu Spitzenzeiten morgens, mittags und am frühen Abend, wenn der Verbrauch am höchsten ist. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung sollen Gaskraftwerke hauptsächlich diese Spitzenlasten abdecken.

Kommunale Versorger fordern Zuschüsse

Doch an diesem Punkt kommen die erneuerbaren Energien den Gaskraftwerken ins Gehege: Ökostrom hat Vorrang, und genau zur Mittagszeit scheint auch die Sonne am stärksten. Die Energieversorger fürchten deshalb, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien ihnen die Gaskalkulation verhagelt.

Wenn die großen Stromkonzerne absagen, kommen noch kommunale Stadtwerke als Betreiber in Frage. Doch für einzelne Stadtwerke ist der Bau eines neuen Gaskraftwerks viel zu teuer, weswegen sich die kommunalen Unternehmen zusammenschließen. Größter Zusammenschluss ist die Thüga-Gruppe. An der Thüga sind deutschlandweit 90 Stadtwerke beteiligt, darunter die Nürnberger N-Ergie. Die Thüga sucht zwar in Bayern nach einem Standort für ein künftiges Gaskraftwerk – doch rechnen würde sich das nach derzeitigem Stand nicht. »Gaskraftwerke brauchen wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber die sind derzeit nicht gegeben«, sagt Thüga-Sprecher Christoph Kahlen in München.

Die Thüga fordert deshalb Zuschüsse des Bundes. Weil ungewiss ist, wie viel Strom Gaskraftwerke in der Zukunft überhaupt noch produzieren können, soll der Staat eine Art Bereitschaftszulage an die Betreiber zahlen. Faktisch müssten die deutschen Steuerzahler dafür aufkommen, dass das Gaskraftwerk existiert – auch wenn dort die meiste Zeit des Jahres gar kein Strom produziert wird. Für den Betreiber seien die hohen Baukosten »nur dann kalkulierbar, wenn er auch für die Bereitschaftszeit des Kraftwerkes entlohnt wird«, argumentiert Thüga-Sprecher Kahlen.

Die Aussichten für den Bau neuer Gaskraftwerke sind also sehr ungewiss. Dem bisherigen Stromexportland Bayern droht in einigen Jahren der Verlust seiner Eigenständigkeit in der Energieversorgung. Und das Versprechen stabiler Strompreise hält die gesamte Branche für absurd.

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