Unter Raubtieren

Großbritannien (II)

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 2 Min.

London brennt, Birmingham brennt, Liverpool brennt. Hinter den Barrikaden werden Geschäfte geplündert, wird Verletzten buchstäblich das letzte Hemd ausgezogen, tobt der Kampf jeder gegen jeden. Die Bilder, die wir dieser Tage aus Großbritannien zu sehen bekommen, erinnern an Science-Fiction-Filme wie »Die Klapperschlange« aus den 1980er Jahren: Der besitzende Teil der Gesellschaft der USA, der durch Raub reich und mächtig geworden ist, hat Armut und Kriminalität dadurch aus der Welt geschafft, indem er eine große Mauer um Manhattan gezogen und darin alle Armen und Kriminellen eingesperrt und sich selbst überlassen hat. Die einzige Aufgabe der Polizei besteht nur noch darin, die Grenzanlagen zu sichern. Recht und Ordnung, jene vielfach propagierten Werte des bürgerlichen Rechtsstaates, sie besitzen in diesem Mega-Gefängnis keine Gültigkeit.

Die Welt hinter der Mauer ist aber ein Spiegel jener vor der Mauer: Jeder nimmt sich bei jeder Gelegenheit was er bekommen kann. Der Kitt, der die in Clans zersprengten Reste der Gesellschaft zusammenhält, besteht einzig aus der kapitalistischen Gier. Die Clan-Chefs, die ohne Rücksicht auf menschliches Leben und bürgerliches Eigentum ihre Herrschaft hinter der Mauer sichern und ausbauen, sind die Brüder der Konzernbosse und der Politiker in der Welt außerhalb des Gefängnisses. Der US-Präsident: ein blasierter, nur auf Eigennutz und Erhalt der Privilegien seiner Kaste bedachtes Raubtier.

Die Reaktion britischer Regierungspolitiker auf die Gewaltextase in ihren Städten ähnelt bereits dieser Zukunftsvision des Regisseurs John Carpenter aus dem Jahr 1981. Wer alt genug sei, um Verbrechen zu begehen, sei auch alt genug für eine Strafe, drohte der britische Premierminister David Cameron den meist jugendlichen Plünderern und Gewalttätern.

Was ist das Plündern in London, in Birmingham, in Liverpool aber anderes als der Resonanzboden für die Musik, die an den Börsen und in den Büros der politischen Klasse gespielt wird? Der Werteverfall des »Mobs« in den unterprivilegierten Ghettos britischer Großstädte, der jetzt von Politikern auch in Deutschland beklagt und von Kommentatoren mit Erschrecken zur Kenntnis genommen wird, ist ein Spiegelbild dessen, was die Eliten nicht nur in Großbritannien vorleben. Ihre neoliberale Maxime lautete seit jeher, die Schaufenster des Sozialstaates zu zerschlagen und die Auslagen zu plündern, solange sie voll sind. Wenn sich Banker mitten in der Wirtschaftskrise zusätzliche Boni gewähren, so die Logik des »Mobs«, dann nehme eben auch ich mir das Recht heraus, in die Auslage von Geschäften zu greifen, deren Schaufenster zerstört wurden.

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