Der Blick aus dem Korbstuhl

Die Zukunft der Uckermark hängt am Wind, wer anderes wünscht, hat schlechte Aussichten

Brandenburg gehört zu den Vorreitern der Energiewende. Was manche stolz macht, lässt andere über ihren Wegzug nachdenken. Warum einer Windräder als technische Meisterwerke würdigt und trotzdem dagegen ist, und ein anderer am liebsten keine hätte, und doch als Gemeinderat neue Windräder unterstützt – eine alltägliche Geschichte aus der Uckermark.

Am Anfang waren es drei. Dann zehn, dann 50, und wenn man Michael Rehfeldt heute nach der Zahl der Windräder in der Gemeinde Randowtal fragt, dann brüllt er sie förmlich aus sich heraus: Tausende! Wie beim Wetter ist das mehr eine gefühlte Zahl, wahrscheinlich sind es eher 100 Windräder, die in der direkten Umgebung seines kleinen Vierseiten-Hofes stehen. Aber in der Tat: Egal, wohin man sich im uckermärkischen Eickstedt, einer der drei Ortsteile von Randowtal, wendet, sie stehen überall. Zumindest fast überall. Denn ein Feld ist noch frei. Das Feld Richtung Schmölln, auf das Rehfeldt von seinem Korbstuhl auf der verglasten Veranda aus schauen kann und wo bisher nur die drei mickrigen Windräder der ersten Generation stehen, am hintersten Rand. Doch bald könnten es elf über 100 Meter hohe Windkraftanlagen sein.

Wenn man heute mit dem schnauzbärtigen Endfünfziger spricht, hat er die gängigen Einwände parat: Von Schlagschatten über nächtliches Blinken und Wertverlust der Grundstücke. Er klingt wie jeder, der den Bau von Windrädern vor seiner Haustür verhindern will. Und doch ist es nicht richtig, ihn in diesen Topf zu werfen. Als es anfing, mit den Windrädern in der Uckermark, dachte er anders. Selbst zwei oder drei weitere würde er noch hinnehmen. Aber dann sollte Schluss sein, um Landschaft und Lebensqualität zu erhalten. Bei der Kommunalwahl vergangenen Herbst hat er extra eine Gruppe angekreuzt, von der er glaubte, sie teile sein Anliegen. Doch dann hätten zwei Mitglieder plötzlich ihre Meinung geändert und den Bürgerwillen verraten, sagt Rehfeldt. Und deshalb mobilisiert er nun die Nachbarschaft, verteilt Zettel in Briefkästen und legt sie beim Bäcker aus: gegen die »Mühlen«, aber auch gegen den Gemeinderat, der den Bau zu seinem Entsetzen unterstützt.

Einer der beiden Gemeindevertreter ist Matthias Konschake. »Landschaft erhalten und Dörfer entwickeln« wollte seine Wählerliste »Pro Randowtal«, für die er kandidierte. Und es gab eine Zeit, da hat Konschake auch gefunden, dass dafür zwei bis drei neue Windräder genug sein könnten. Doch nun plant er weitaus mehr neue Anlagen mit, hat städtebauliche Verträge mit Energiefirmen geschlossen. Er wurde zum Befürworter, Rehfeldt zum Gegner.

Der Nordosten Brandenburgs ist ein begehrtes Gebiet für Investoren in Windenergie. Das Land gehört zu den Vorreitern der Energiewende und will das auch bleiben. Bis 2020 soll der Anteil der Erneuerbaren drastisch ausgeweitet werden. Für die Region Uckermark-Barnim heißt das am Ende fast eine Verdopplung der Windflächen auf 11 000 Hektar. Hehre gesellschaftliche Motive treiben diese Entwicklung an, aber es ist auch ein Mega-Geschäft für Energieunternehmen und für Einzelne, auf deren Land Anlagen aufgestellt werden. Sie bekommen jährlich eine nicht unerhebliche Pacht.

Michael Rehfeldt sitzt in seiner Veranda, auf dem Fensterbrett Kakteen, blickt man zur Seite, schießen Schwalben in ihren Nester unter dem Dach seines einstöckigen Hauses ein und aus, im Garten wuchern die Bohnen. Vor zwanzig Jahren ist er mit seiner Frau aus Berlin-Pankow weg aufs Land gezogen. Aber er ist nicht nur der Stadtflüchter, der die »schöne ruhige Landschaft« der Uckermark liebt, er ist auch Ingenieur, arbeitet in einer Elektronikfirma und ist als solcher quasi schon von Berufswegen für Modernität. »Windräder sind technische Meisterwerke«, sagt er. »Wir wollten sogar selbst mal zwei Mühlen aufstellen.« Er fand es nicht verkehrt, dass die strukturschwache Uckermark Anfang der 90er Jahre diese Zukunftstechnologie entdeckte. Damals hätte allerdings keiner gedacht, dass irgendwann mehr Windräder als Bäume am Horizont zu sehen sein würden. Die Bauern verpachteten freiwillig Teile ihres Acker an die spinnerten Ökos, auch, weil keiner so genau wusste, was das eigentlich bedeutete, mitten in einem »Windeignungsgebiet« zu leben. Das wurde erst im Laufe der Jahre klar: Nach den ersten kamen die nächsten Mühlen und dann die größeren und dann wurden die Abstände zwischen den Windfeldern immer kleiner und die Sichtnähe zu den Dörfern immer größer. Und langsam kippte die positive Einstellung.

Für metallene Masten, surrenden Lärm und nächtliches Blinken hat Rehfeldt der Stadt jedenfalls nicht den Rücken gekehrt. Nun sollen die weißgrauen Riesen seinem Haus so nah kommen wie noch nie. »Maximalbebauung«, schimpft er. »So hoch kann ich den Flieder gar nicht wachsen lassen.« Der Mann könnte heulen, wenn er daran denkt. Die Räder stören nicht nur die Aussicht, sie durchkreuzen noch dazu die Zukunftspläne des Ehepaars. Verkaufen wollten sie das Haus, wenn sie zu alt geworden wären, um alles zu bewirtschaften und dann vom Erlös leben. Mit elf Windrädern vor der Nase können sie das vergessen, fürchtet er. »Wer wird uns dann noch einen ordentlichen Preis zahlen?«

Und deshalb hat Rehfeldt genug. »Es muss ja nicht alles hier stehen«, er denkt an Bayern oder Baden-Württemberg, für die in der Uckermark der saubere Strom mit produziert wird und die bislang keinerlei Opfer für die Energiewende gebracht hätten. Bei der Gemeinderatssitzung im Juni machen er und ein paar andere Betroffene ihrem Ärger Luft. »Was hat die Gemeinde Randowtal davon?« Die Entscheidung sei nur zum Vorteil einiger weniger Landbesitzer im Ort. Von Korruption und Verrat am Wählerwillen ist an diesem Abend im Sportlerheim mehrfach die Rede. Warum Konschake mitmacht, ist ihnen jedoch schleierhaft. Denn der hat gar kein Feld, sondern montiert Heizungen.

Die persönlichen Angriffe nimmt Matthias Konschake übel. Besonders den Vorwurf, er würde sich nicht für die Interessen der Bürger einsetzen. Aus seiner Sicht tut er nämlich seit bald 15 Jahren nichts anderes, als sich darum zu kümmern, dass aus der Gemeinde etwas wird. Dass Schmölln einen »schönen« Festsaal bekommt, der Teich »schön« wird und nicht zu vergessen der Friedhof. Rehfeldt hingegen, das schwingt in seinen Worten mit, der vertrete nur sein Privatinteresse.

Installateur Konschake wohnt in seinem Geburtshaus an der Dorfstraße, nach der Wende hat er hier auch seine Gas-, Wasser-, Heizungsfirma gegründet. Jedenfalls kennt er Schmölln und Umgebung noch, wie sie vor 30, 40 Jahren aussahen. Und deshalb ist es ihm nicht egal, wenn turmhohe Windräder in der Landschaft herumstehen. Er verstehe Rehfeldt, sagt Konschake. »Das ist kein schöner Anblick.« Vielleicht habe er auch irgendwann einmal dafür unterschrieben, dass nicht mehr als fünf neue Windräder auf das Schmöllner Feld kommen, sagt er vorsichtig. Festlegen will er sich darauf nicht. Aber es klingt schon recht wahrscheinlich.

Am liebsten wäre es Konschake, es würden gar keine Windräder bei ihnen stehen. Trotzdem hat er seine Hand gehoben, dass bis zu elf neue dazu kommen können. Nicht, weil er plötzlich begeistert ist. Aus seiner Sicht hat er Schlimmeres verhindert. So habe der Gemeinderat im Winter überraschend erfahren, dass Privatleute Verträge mit Energiefirmen bereits eingetütet hatten. Sogar die Planungen über die Zufahrtswege zu den Anlagen seien fast fertig gewesen. Alles an Gemeindeland vorbei. Der Supergau der Erneuerbaren. »Die Dinger wären sowieso gebaut worden, nur ohne dass die Gemeinde davon etwas gehabt hätte«, erklärt er. Für ihn der alles entscheidende Punkt. Sie hätten weder Gewerbesteuern noch sogenannte Ausgleichsmaßnahmen bekommen. Wie es Konschake darstellt, hatten sie keine andere Wahl, als die Firmen anzurufen und die »Zuwegung« über gemeindeeigene Straßen anzubieten. Zum Ausgleich wird ihnen nun zum Beispiel die jahrhundertealte Pflastersteinstraße »schön« gemacht. Er glaubt, die Schmöllner werden diese Verbesserung zu schätzen wissen.

Von seinem Haus aus werden die Windräder nicht zu sehen sein. Da ist nur die Straße und ein anderes Haus. Auch das mag eine Rolle spielen. Die Natur ist ihm wichtig, aber was Städter an alten Dörfern gern romantisch finden, buckelige Feldsteine, am besten noch Gaslaternen, daran hängt Konschake nicht. Die Zeit soll auch auf dem Land weitergehen, damit sind nicht unbedingt Windräder gemeint, aber vernünftig gedeckte Straßen und Fußwege sollten es schon sein. Nur dafür fehlt immer das Geld. Es sei denn, man lässt sich seinen Wind vergüten.

Die Sache passt zu den Erfahrungen, die Konschake seit Jahr und Tag in einer ostdeutschen Kommunalvertretung macht. Wie viele im Osten sind sie knapp an der Zwangsverwaltung vorbeigeschrammt. »Wir hängen am Tropf.« Von hier aus lässt sich weder etwas verhindern noch könne man die Rahmenbedingungen beeinflussen. Ihm fällt dazu eine alte Geschichte von geprellten Handwerksfirmen aus der Gegend ein und Frauen, die mit einem Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor Hilfe aus der Politik einforderten. Am Schreibtisch vorgebeugt, raunt er mit tiefer Stimme: »Wenn die nicht von selbst gegangen wären, dann säßen da heute Skelette.« Genauso pessimistisch ist er, wenn es um mehr Geld für Kommunen geht. Für ihn sonnenklar: Die Bayern haben keine Windräder, weil dort die Industrie die Gemeindekassen füllt. Bei ihnen in der Region hat die einzige Industriebude, das Petrolchemische Kombinat Schwedt, lange dicht gemacht. Einwohner gibt es auch keine. »Auf EU-Karten ist dort, wo die Uckermark ist, eine weiße Fläche.« Und weil das so ist, will er sagen, stehen hier Windräder und anderswo nicht. Quod erat demonstrandum. Der Zusammenhang ist so zwingend, darüber kann er sich nicht mal mehr aufregen.

Es wird keine Lösung geben. Konschake ist felsensicher, so einer wie Rehfeldt lässt sich nicht überzeugen. Und dieser glaubt nicht, dass der andere die Wahrheit sagt. Im Grunde weiß Rehfeldt, dass das »ob« gelaufen ist, dass allenfalls noch um die Zahl der neuen Windräder gefeilscht werden wird. Aber ihm geht es eben auch ums Prinzip. Deshalb kann er nicht locker lassen, dafür stößt er auch auf zu viele Merkwürdigkeiten. So wundert er sich, wer eigentlich den Rechtsanwalt, der in der Gemeinderatssitzung neuerdings links neben dem Bürgermeister sitzt, bezahlt. Dessen Auskunft, »nicht von der Gemeinde«, hat Rehfeldt nicht wirklich beruhigt. »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, sagt er. Die Alternative wäre, jetzt schon wegzuziehen. Aber irgendwie will er noch nicht aufgeben. »Grüße von Don Quijote II«, verabschiedet er sich in einer E-Mail. Vielleicht passiert ja doch noch etwas überraschendes. Auch Konschake spielt auf den Kampf gegen Windmühlenflügel an. Aber um etwas anderes zu betonen. Man wisse ja, wie der ausging, sagt er. »Sie blieben stehen.«

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