»Das Ei ist hart!«
Zum Tode des großen Komödianten Loriot
Während diese Zeilen entstehen müssen, weil der große Loriot gestorben ist, donnert es draußen. Einige sagen Gewitter dazu. Ahnungslose. Denn dies Poltern ist das erste Freudengestampf von Evelyn Hamann, oben, im herrlich weiträumigen Himmel der Komödianten, wo es stets sehr heiter zugeht – weil der Tod die Menschen von der Erde klauen kann, nicht aber das Lachen.
Und ein bisschen novemberdämmrig ist es in diesen Minuten auch gleich geworden, jetzt im August. Logisch: Loriot wurde in diesem geschichtstrübsten und geschichtsträchtigsten Monat der Deutschen geboren, im Jahre 1923. Aber den Elften Elften hat er als Ankunftstag auf dieser Welt verweigert. Wir wissen ja: Wenn ein Kind geboren wird, kommt eine Mutter zur Welt, und gemeinsam mit ihr hat Loriot die heldenhafte Geduld aufgebracht, sich bis zum 12. November zurückzuhalten. Sich dem Karnevalsbeginn natal zu entziehen, ist ein erster subversiver Akt gewesen – gegen die Grundphilosophie jenes teutonischen Faschings, der dem hässlichen Deutschen den hessischen Deutschen schunkelnd zur Seite gab. Und diese Grundlehre lautet: Leute finden sich immer erst dann komisch, wenn sie nicht mehr sie selber sind; wer im Fasching lacht, zeigt nicht Fröhlichkeit, sondern Gehorsam; und wer sich in solcher Lage für humorvoll hält, der hält sich leicht auch für einen Demokraten.
Das ist nicht Sache eines Vicco von Bülow, der später, nach dem Wappentier seiner bis zurück ins 12. Jahrhundert nachweisbaren Familie, »Loriot« (Pirol) hieß. Der Zeichner und Autor, Schauspieler und Dirigent, Film-, Fernseh- und Opernregisseur ist ein Wahlbayer aus Brandenburg geworden. Und seine Erfolgsgeschichte hat im Rückblick eine verblüffend exzessive Folgerichtigkeit. Mit Cartoons fing es an, daraus wurden die Bildergeschichte und der Trickfilm. Aus schlichten Zeilen unter einer Zeichnung entwickelten sich Dialog und Szene. Expandierendes Selbstbewusstsein! Der Schöpfer eines grafischen »Taschentheaters« (Wilhelm Busch) erhob sich unaufhaltsam zum leibhaftigen Darsteller, Inszenator, Evelyn- Hamann-Finder, zum Ausstatter obendrein. Über dem Erfolg konnte leicht vergessen werden, dass da einer fortwährend Neuland betrat, Risiken ausreizte.
Er ist Philosoph gewesen. Denn er hat den eigentlichen Faden der menschlichen Geschichte ins Bild gerückt – jene Nudel, die ein Rendezvous in eine Apokalypse verwandelt. Der Nudel langer Weg von der Lippe über die Nase zum Auge: Fausts Weg vom Himmel durch die Welt zur Hölle ist nicht weltergreifender gewesen. Dantes »Menschliche Komödie« ward damit in die Moderne übersetzt. Becketts Vergeblichkeitsspiele – in denen jeder existenzielle Bejahungsversuch nur tiefer in die Abgründe menschlichen Missverstehens führt – haben in der Nudel auf Loriots Antlitz ihre neuzeitliche Bestätigung gefunden. Und im Entsetzen des Hamann-Gesichts, das fassungslos auf den Teigwaren-Partikel blickt, spiegelt sich Joseph Conrads Raunen aus dem »Herz der Finsternis«, darin es heißt: »Ich habe das Grauen gesehen.«
Jene metaphorisch berüchtigte Suppe, die der Mensch vom Schicksal serviert bekommt und auszulöffeln hat, das ist bei Loriot der Kosakenzipfel oder der Jäger im Reisrand. Und der Versuch, ein Bild an der Wand aus dessen leichten, kaum merklicher Schieflage zu befreien, was ganz logisch mit einem Zimmerweltzusammenbruch endet – das offenbart die Tragödie des Menschen, der doch nur eines bewahren will: Haltung. So ein Loriot-Mensch will die gute alte Ordnung nicht aufgeben, dafür entwickelt er einen hochkarätigen Eigensinn, der genau das zerstört, was es zu schützen galt. So endet der schöne Wille, ganz bei sich zu sein, in (zwerchfell-)-erschüttern-
der Katastrophe. Loriot, das klang in solchen Geschichten stets wie Monsieur Hulot. Und im erwärmten Verständnis für den unbarmherzigen Lauf der Welt umarmt Loriot den Don Quichotte – wie auch die Windmühlenflügel.
Am Ende vieler Sketche strahlen Loriots Menschen, selbst wenn sie das Jodeldiplom haben, große Ratlosigkeit aus: Sie wissen nicht, mit welchen Kompetenzen sie ausgestattet sein müssten, um der Verzweiflung keine weiteren Gründe zu liefern. Und diese Gründe zum Untergang beginnen automatisch dort, wo sich der Mensch dem Menschen nähert, zum Beispiel aus Liebe, dem teuflischsten der Impulse, im Elend zu enden.
Vicco von Bülow war ein erklärter Liebhaber Richard Wagners. Nur wer so verbündet ist mit ästhetischer Wucht, kann eines der größten Dramen (»Das Frühstücksei«) mit dem einschneidenden Satz »Das Ei ist hart« eröffnen. Loriots Knollennasen, der verwirrte Lotto-Millionär Lindemann, Opa Hoppenstedt, »Ödipussi« – genau kalkulierter Verstandeswitz, der aus einer einzigen Utopie entsteht: Ach, die Welt wäre am schönsten, wäre sie ereignislos. Die Welt ist aber nicht ereignislos, just dies treibt in die schauerliche Dramatik. Bei Loriot gipfelt diese Tragödie des Aufgestörtseins im Satz »Ich möchte einfach hier sitzen.« Ein Satz aus einem dieser großen Ehedramen, von denen Strindberg abkupferte, obwohl er weit früher lebte. »Ich möchte einfach hier sitzen!« So inständig von IHM hingefleht zu IHR, dass Hamlets Sterbenswunsch »Schlafen! Schlafen!« nicht zehrender ans Herz gehen kann.
Oder: Ein Mann transportiert ein Klavier in den Konzertsaal, und plötzlich schlägt er nach einer Fliege. Prompt wird er von den Berliner Philharmonikern als Dirigent missverstanden und setzt so die Coriolan-Ouvertüre in Gang. Ein früher Sketch des Musikliebhabers. Von Wagner war schon die Rede. Aber auch der späte Goethe lieferte ihm die unwandelbare Erkenntnis: »Alles, was uns wirklich interessiert und im guten Sinne prägt, kommt aus dem 19. Jahrhundert.« Der Münchner Kritikerpapst Joachim Kaiser hielt zu einem der Geburtstage des Künstlers eine Rede, die in der Metaphorik des Musikalischen alles Wesentliche der Loriot-Kunst erfasste: »den e-Moll-Gedanken im Es-Dur-Kosmos«. Wie könnte man es präziser formulieren! Den populären FAZ-Fragebogen hat Loriot übrigens nur mit Wagner-Zitaten, -Sängern und -Figuren ausgefüllt. Logischerweise war bei der Erkundigung nach dem Lieblingsmaler nur eine einzige Antwort möglich: »Wagner hat nie gemalt.« Und den »Ring der Nibelungen« kerbte er in der Deutschen Oper Berlin auf dreieinhalb Stunden. Ein Bericht mit Musikbeispielen, ein umjubelter »Ring«-Kampf. Am Stehpult stand da im dunkelgrauen Maßanzug – ein Preuße. Einer aus Tradition und Leidenschaft. Sein Urur-
ururgroßvater war Berater bei Friedrich II., die Offiziere des 20. Juli 1944 nannte er eine Quelle des Ehrgefühls – und als preußisch bezeichneten alle, die mit ihm arbeiten, seine Perfektionssucht. Loriot – das war der Adel der Distanz, das war Suche nach Möglichkeiten, sich die Welt vom Leib zu halten.
Nur für die Momente seiner großen Kunst wurde dieses nahezu hygienisch überspannte Ferngefühl zur Welt überbrückt, es stürzen seine Figuren mitten hinein in die Welt, und naturgemäß sind es sehr komische Momente. Der Welt dieses Komische abzugewinnen – es ist der Beweis, dass Dasein vielleicht doch nicht sinnlos ist. Andernorts nennt man das Trost. Klingt immer auch wie Trotz. Bei den allzu reibungslos Funktionierenden heißt es von solch närrischen Leuten, sie seien wahrscheinlich nicht bei Troste.
Das haben wahrscheinlich auch einige gedacht, als Loriot 1988 bei der DDR-Premiere seines Films »Ödipussi« auf der Bühne in Berlin betonte, es sei doch erstaunlich, wie viele Zuschauer gekommen wären; er hätte vermutet, die seien zu dieser Zeit alle mit dem Aufbau des Sozialismus beschäftigt. »Dass mir das nicht einreißt!« Ein sagenhaft prophetischer Satz. Jeder wirkliche Komiker ist Kassandra. Ein Jahr später riss die Zeit wahrlich alles ein.
Loriot war in seinem frühen Leben Gebrauchswerber. Dann wurde er Werber dafür, das Lachen zu gebrauchen. Und diese Arbeit ist nie ein Witz gewesen, sondern hartes Mühen. Denn: Wenn eine Arbeit Spaß macht, ist sie keine, sagte Heiner Müller. Erwähnte Energie und Durchhaltekraft Loriots fürs möglichst Perfekte reihte ihn ein in die Gilde der Komiker, von denen man sagt, sie seien bei den Proben hart, unbarmherzig, unerträglich. Das hat seinen Grund in der Not des Komikers: auf die Sekunde hin witzig sein zu müssen. Der Tragöde kann sich Zeit lassen, Tränen der Traurigkeit haben keine Eile. Die Tränen, die gelacht werden sollen, brauchen den Reiz der punktgenauen Pointe. Des grandiosen Loriots Pointen sind nicht zu schlagen, auch nicht vom Tod. Der am Montag nach Ammerland am Starnberger See kam.
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