»Karaoke-Journalisten«

Debatte beim Internationalen Literaturfestival Berlin

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Was zählt ist die Botschaft«, sagt Mort Rosenblum und verweist damit auf die unübersehbare Kluft zwischen echten Reportern und »Karaoke-Journalisten«, die den 24-Stunden-Nachrichtensendern die Bilderfluten liefern. Rosenblum, am späten Sonntagabend im Gespräch mit seiner Kollegin Alixandra Fazzina, weiß, wovon er spricht. Der in Tucson, Arizona, und Paris lebende Journalist, Autor und Publizist ist seit den 1960er Jahren im Metier, schrieb Reportagen aus zweihundert Ländern, war Chefredakteur der »International Herald Tribune« und veröffentlichte zwölf Bücher. Zusammen mit dem Fotojournalisten Garry Knight gründete er »Dispatches«, ein Forum zur Debatte der Themen des 21. Jahrhunderts. Sein Motto, so erläutert er in der ilb-Runde zu den »Reportagen aus Konfliktgebieten« lautet: »Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder.« Denn ohne Kontext und intensive Auseinandersetzung mit der Realität vor Ort – was mühsam und gefährlich ist, was Zeit kostet und Geld, das keiner mehr bezahlen will –, ergibt die Berichterstattung keinen Sinn, klärt nicht auf, hilft nicht verstehen. »Nur mit Worten können wir erklären warum, und was als Nächstes geschieht.« Vor Ort sein allein reicht nicht, plädiert Rosenblum, und spielt wiederum auf die im Internet-Zeitalter massenhafte Präsenz journalistischer Laien an, die natürlich für Sichtbarkeit sorgen, aber das nicht tun, was der Profi gelernt hat: hinterfragen, sich nicht mit Oberflächlichem abspeisen, sich nicht kaufen lassen.

Wie schwierig das sein kann, erläutert die Fotojournalistin Alixandra Fazzina, geboren 1974 in Großbritannien und seit 2008 in Islamabad zuhause. Sie berichtete aus Pakistan, Afghanistan, Jemen und Somalia. Um über die Flüchtlinge zu schreiben, denen sie ein ganzes Buch gewidmet hat, und Fotos zu machen, die durch ihre Unmittelbarkeit beim Betrachter Gänsehaut provozieren, musste sie sich mit Menschenschmugglern einlassen und auf Flüchtlingsbooten mitfahren. Doch Fazzina spricht nicht über den Kick des Abenteuers oder die Lebensgefahr, die das bedeutet, sondern über die emotionale Bindung, die sie mit den Menschen eingeht, von denen ihre Reportagen handeln. Immer wieder kehrt sie an die Orte zurück, an denen sich ihre Wege trennten, versucht zu recherchieren, was aus denen wurde, die sie ein Stück auf ihrer Reise in die Hoffnung begleitete. Und darüber, wie traurig es ist, dass sich diese Spuren fast immer verlieren. »Es geht nicht um mich«, betont sie, und kritisiert damit das Metier der neuen »rasenden Reporter«, die vor wechselnden Kulissen in wechselnden Kriegs- und Krisengebieten stehen und der Kamera wenig mehr zu zeigen haben, als das eigene Gesicht.

Fazzina ist auch eine engagierte Gegnerin des »embedded journalism«, der der Kontrolle des Militärs unterliege und keine eigenständige Berichterstattung mehr erlaube. »Als nicht eingebettete Fotografin will ich Geschichten über das erzählen, was der Krieg für die ganz normalen Menschen bedeutet«. Den Krieg nicht nur »entlang der Gewehrläufe« zu sehen, ist ihr Anliegen. In Islamabad genießt sie als Frau den Vorteil, auch in die privaten Räume der Familien vordringen, mit den Frauen im weitgehend muslimischen Land sprechend zu können. Ihr Problem als erklärte Gegnerin des »eingebetteten Journalismus« ist allerdings, dass die Medien heute nicht mehr bereit sind, ganz und gar unabhängige Reporter zu beauftragen. Dies sei in Konfliktzonen zu riskant, sagt man ihr immer wieder. Dagegen setzt Mort Rosenblum: »Wir sind eure Augen und Ohren. Ihr könnt uns nicht daran hindern, zu sehen und zu hören, was geschieht.«

Eine gute Idee deshalb, am zehnten Jahrestag des 11. September 2001 nicht nur mit Autorenlesungen an die Anschläge in den USA und ihre kriegerischen Folgen zu erinnern, sondern die Bühne auch denen zu überlassen, die sich mit ihren Worten und Bildern über den kommerziellen Zwang zum Pseudo-Journalismus mit seinen »60-Sekunden-Fakten« à la Jauch und Plasberg hinwegsetzen. Denn richtig ist: Karaoke kann jeder. Aber Karaoke ist nur Unterhaltung. Information ist etwas anderes!

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