Im Land der Lohnerhöher

In den Schweriner Koalitionsverhandlungen wird sich die CDU mit dem Mindestlohn anfreunden müssen

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.

Heute beginnen die Koalitionsverhandlungen in Mecklenburg-Vorpommern – mit einer Vorfestlegung Erwin Sellerings auf einen Vergabe-Mindestlohn von 8,50 Euro im Land. Doch der Kampf gegen den lange forcierten Niedriglohn im Land lässt sich allein von Schwerin aus nicht gewinnen.

Heute beginnen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU im Nordosten. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) hat sich im Vorfeld darauf festgelegt, dass der Erfolg der Koalition daran zu messen sei, ob es zu spürbaren Lohnerhöhungen komme im Niedriglohnparadies an der Ostseeküste. Welche Stellschrauben auf Landesebene gibt es für die beiden selbst ernannten Lohnerhöhungsparteien, unter deren Regierung sich in den letzten fünf Jahren der 1000-Euro-Brutto-Standard für junge Vollerwerbstätige verfestigt hat?

Die erste und im Wahlkampf viel bemühte Handhabe ist ein »vergabespezifischer Mindestlohn« bei öffentlichen Aufträgen, wie ihn einige Bundesländer bereits festgelegt haben. Im Nordosten wurde ein solches Gesetz von Rot-Schwarz noch kurz vor der Sommerpause verabschiedet, allerdings ohne Mindestlohn. Der soll nun kommen, Sellering hat da nicht nur den Verhandlungen vorgegriffen, sondern bereits eine Höhe genannt: 8,50 Euro; die LINKE will eine Volksinitiative für 10 Euro Mindestlohn starten.

Die Wendung wird in jedem Fall unangenehm für die CDU, die einen solchen Vergabe-Mindestlohn über Jahre mit Macht blockiert hat. Doch mag sich die Union auf Landesebene noch mit der Vergesslichkeit des Wählers trösten, schließlich war es vor 2006 die Schweriner SPD selbst, die das von der damaligen PDS forcierte Vergabegesetz ausbremste, mit dem sie sich nun profiliert.

Auf Bundesebene könnte der Kotau, den CDU-Spitzenmann Lorenz Caffier offenbar vor Sellering hingelegt hat, dagegen etwas peinlich werden, schließlich will sich Sellering als Regierungschef künftig auch in Berlin für den gesetzlichen Mindestlohn stark machen dürfen – eine Absage an einen allgemeinen Mindestlohn gehört noch immer zum Identitäts-Inventar der Bundes-CDU. Nach dem Atomausstieg erodiert in der Union eine weitere Grundposition. Sellering dürfte mit einem solchen Vorspiel in Berlin persönlich punkten, im Land wird es allerdings keine konkreten Folgen haben.

Auf Landesebene könnte sich schon bald erweisen, dass das Vergabegesetz im Kampf gegen den Niedriglohn zwar ein »wichtiger Hebel« ist, wie auch der neue Schweriner LINKE-Abgeordnete Henning Förster sagt, selbst langjähriger Betriebsratsvorsitzender – aber kein Allheilmittel. Als Faustregel gilt, dass die Aufträge der öffentlichen Hände in Deutschland insgesamt in etwa ein Fünftel der Wirtschaftsleistung ausmachen, die etwa 30 000 Vergabestellen schreiben jährlich 360 Milliarden Euro aus. Die einzelnen Vergabegesetze betreffen aber nur Landes- und Kommunalaufträge, da der Bund sich selbst keine entsprechende Regeln gegeben hat. Darüber hinaus lässt sich ein Kernbereich des Problems im Nordosten so nur schwer erreichen: Fremdenverkehr und Gastronomie, die immer wieder haarsträubende Lohnwucherfälle hervorbringen, und manche Bereiche des Handels und der Dienstleistungsberufe.

Um hier Wirkung zu erzielen, reicht nicht der Federstrich im Namen der Koalitionsbildung. Dafür, sagt Förster, sei eine tatsächliche Sensibilisierung der ganzen Einflussbereiche der Parteien notwendig – dort zum Beispiel, wo das Hungerlohnmodell fast schon systematisch finanziert wird: In den Kommunen, die gute Anteile der »Aufstockerleistungen« zu bezahlen haben, in kommunalen Aufsichtsräten oder in den Beiräten der Jobcenter. Dort müssten »grenzwertige« Arbeitsplatzkalkulationen mit eingepreistem Aufstockeranteil »standardmäßig« auf die Tagesordnung, statt derlei einfach durchlaufen zu lassen. In Schwerin, wo die LINKE das Rathaus besetzt, gebe es »gute Erfahrungen mit entsprechenden Nachfragen über die Oberbürgermeisterin«, sagt Förster. Wie genau andere Verwaltungen hinschauen ließen, wollte er so pauschal nicht bewerten.

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