Halbgötter steigen auf Rot um

Der weiße Arztkittel ist passé, schadet das der Hygiene?

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer mehr Ärzte verzichten auf den weißen Kittel. Farbige Poloshirts liegen im Trend und das hat Gründe.

Für den altgedienten Dr. Brinkmann aus der Arztserie »Schwarzwaldklinik« gehörte der weiße Kittel noch dazu wie der Blaumann zum Handwerker. Viele jüngere Ärzte brauchen den Arztkittel als Symbol aber nicht mehr, meint Frank Naundorf von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. »Vor allem unter Kinderärzten, aber auch im psychiatrischen Bereich verzichten Mediziner inzwischen häufig auf ihre »Uniform«: Der Kittel schaffe auch Distanz, könne vor allem kleine Patienten einschüchtern.

»Berufskleidung ist heute immer freizeitorientierter«, sagt Harald Goost, Geschäftsführer des Kölner Bekleidungsherstellers Bierbaum-Proenen. Sie soll eher lässig wirken. »Auch Ärzte wollen oft keine Kittel mehr tragen. Im Trend liegen dagegen helle Hosen, die mit einem farbigen Poloshirt kombiniert werden«, berichtet Goost. Oft wird das Logo der Praxis auf dem Hemd gestickt, denn viele Arztpraxen achten inzwischen im Sinne einer »Corporate Identity« auf einheitliche Kleidung - etwa rotes T-Shirt mit weißer Hose. Ulrich Fegeler, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, berichtet aus seiner Praxis: »Wir tragen hier alle T-Shirts mit Praxisemblem.«

Eigentlich ist der weiße Kittel eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Er diente der Hygiene. Wissenschaftler wie Ignaz Semmelweis und Max von Pettenkofer hatten damals bereits erkannt, welche Bedeutung Sauberkeit zur Vorbeugung von Krankheiten hat und eine Art »Hygienerevolution« ausgelöst. »Dass man für den Kittel Weiß gewählt hat, hat zwei Gründe«, erklärt der Medizinhistoriker Philipp Osten von der Uni Heidelberg. »Zum einen sieht man darauf den Schmutz am leichtesten. Zum anderen ließen sich weiße Kleider früher am besten heiß waschen.« Vor dem Hygieneboom bestand die Zunftkleidung von Wundärzten dagegen aus einem schwarzen Gehrock.

Die ersten weißen Schürzen im Krankenhaus wurden aber nicht von Ärzten, sondern vom Küchenpersonal getragen, wie Osten berichtet: »Erst im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung des Kittels verändert, so dass aus einem Kennzeichen von Küchengehilfen ein Statussymbol der Ärzte wurde.« Die Erkenntnisse, die Wissenschaftler Ende des 19. Jahrhunderts zum Beispiel bei der Erforschung der Cholera gewannen, schlugen sich zunächst in der Lebensmittelhygiene nieder. Das hatte zur Folge, dass in Krankenhausküchen Dienstkleidung getragen werden musste. Erst danach wurden die weißen Mäntel auch für Mediziner eingeführt, um die Hygiene bei Operationen zu verbessern, wie Osten erklärt. »Richtig durchgesetzt hat sich der Arztkittel als Berufskleidung aber erst nach dem Ersten Weltkrieg«, sagt der Historiker. Im Krieg hätte die Bevölkerung die hell gekleideten Ärzte nämlich als »Helden in Weiß« verstanden.

Heute spielt das Hygieneargument keine entscheidende Rolle mehr: Auch bunte Berufskleidung hält der Kochwäsche stand, wie Harald Goost berichtet. Und Naundorf sagt: »Inzwischen wissen wir auch, dass Handhygiene der größte Schutz vor Ansteckung ist.« Deshalb ist der weiße Kittel mittlerweile vor allem ein Symbol: In einer englischen Studie erklärten Mediziner als wichtigsten Grund dafür, ihn zu tragen, dass sie so leichter als Arzt erkannt würden. Außerdem fanden es viele von ihnen praktisch, in den Taschen Instrumente verstauen zu können und die Kleidung darunter vor Blutspritzern zu schützen.

Aber warum tragen Ärzte und Schwestern bei Operationen grüne Kittel? »Weiß würde im OP blenden«, sagt Neugebauer. Außerdem seien Operateure dadurch erkennbar. Sie sollten die Kleidung aus Hygienegründen wechseln, bevor sie in die Cafeteria gehen.

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