Traum und ...

Vor zehn Jahren starb Thomas Brasch: ein Kinofilm

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Filmen heißt, so Thomas Brasch, »dem Tod bei der Arbeit zusehen« - jedes Bild hält fest, was schon Vergangenheit ist. Diesen Kinofilm »Brasch. Das Wünschen und das Fürchten« drehte uns auch der Tod, obwohl der Regisseur Christoph Rüter heißt, Dichters Freund. Ein Film, in dem Brasch seine Kamera führt, sich filmend, zwischen beschrifteten Wohnungswänden, angepinnt auch: der britische Pass des 1945 in England Geborenen; er filmt »Bilder vom Leben, das ich nicht habe«, und das ihn nicht interessiert, wenn es nicht Arbeit ist. Größte Arbeit: das Verlieren. Wir sehen die schöne Thalbach, die große Liebe, sehen Ausschnitte aus Bochumer Inszenierungen und am BE - Claus Peymann war früh und ist zuletzt Arbeit-Geber für den rauschbefähigten, rauschgefährdeten Dichter.

Einmal wirft Brasch den Juden Holocaust-Sentimentalität vor, er fragt, warum sie sich nicht wehrten. Er will, eine Auschwitz-Passage von Peter Weiss lesend, dass seine »schönen Augen« zu sehen sind - nur keine niedergeschlagenen Augen! »Orte wie Auschwitz entstehen durch niedergeschlagene Augen«.

Einmal erzählt Brasch von der Beerdigung des Vaters (kurz vor Maueröffnung), wir sehen die Ehrenkompanie, Politbüromitglieder. Er habe den Vater (zehn Jahre kein Gespräch) mit scharfen Fragesätzen ins Grab geschickt, sagt Brasch; wer das tue, müsse Anstand haben für den letzten Beistand. Müsse ans Grab. Trotz salutierender NVA, »die mich nur in den Arsch getreten hat, die ich lediglich als Wächter wahrnahm«.

SED-Funktionär Brasch hatte seinen Sohn einst in die Kadettenschule geschickt. Wo sich Jungs, zermürbt, das Leben nahmen. Einmal liest Brasch ein Gedicht: »Als meine Mutter meine Hand nahm im Auto/am Tag bevor ich ins Internat abfuhr und/ ich wusste im gleichen Moment, dass ich/ in einen Weg einbog, der mich wegtrieb und /wollte zurück aber da ging es nicht mehr.« Ein Foto zeigt den lachenden Jungen, die lachende Mutter. Foto und Text: So kam für Sekunden die Unschuld in den Film. Da war in Thomas noch nicht Brasch geboren, jener Dichter, dem Sprache gegeben werden würde - einzig für Entfernungsangaben zur Welt. Sein Werk: schwarzes Konfetti, das auf Unglücksstellen rieselt.

1968 wird Thomas Flugblätter gegen die Panzer in Prag verbreiten, der Vater denunziert ihn. Knast (»zwischen den Schläfen der Herzschlag«) und Bewährung in der Produktion: Arbeiter sein als Strafe, im Arbeiterstaat. Es gibt ein Gedicht Adolf Dresens, das erzählt diesen Sozialismus: »Als die Interventen in Prag einmarschierten/ verteilte Brasch am Prenzlauer Berg Flugblätter:/ Wollt ihr euch denn alles gefallen lassen?// Das Schlimme war nicht, dass sie ihn nach drei Tagen abholten/ Das Schlimme war, dass er nach drei Tagen merkte, ja/ Sie wollen sich alles gefallen lassen.«

Einmal sagt Brasch - Preisverleihung in München, er ist als Ausgereister ein dotierter Dissident -, Kriminalität sei konsequentester Ausdruck der Auflehnung; er dankt der Filmhochschule der DDR für die Ausbildung (Aufruhr im Publikum). Franz Josef Strauß hatte zerkrampft gelächelt, er schwitzt, wie nur er schwitzen konnte - und gibt seinerseits ein Signal glänzenden Geistes. Er danke Brasch, sich als Demonstrationsobjekt bayerischer Liberalität zur Verfügung gestellt zu haben.

Einmal sagt Brasch, die DDR sei Land, in dem er »leben muss, aber will«. Freiheitsentzug durch Kommunisten: Entzug nicht der Freiheit zu reisen, sondern der Freiheit, sich leidenschaftlich für eine deutsche Alternative zu entscheiden. (Wer angesichts dieser Schande mit Errungenschafts-Wundpflastern Selbstbetrug und Schulddämpfung betreibt, verrät das linke Denken ein weiteres Mal.)

Brasch vergräbt sich nach 1990 in die Einsamkeit. Nun ist der Reibestoff weg (»Abschied von morgen, Ankunft gestern«), er teilt das Schicksal Heiner Müllers, sein starker frecher Schädel wird Knochen. Schmerz als Lebenselixier. Er taumelt. Der Tanker ist lieber Wrack als Boot, darin alle sitzen.

Einmal, bei einer Operation, bohrt der Arzt aus Versehen ein Loch in die Herzwand. Drei Monate, heißt es, bleiben Brasch. Er schafft noch drei Jahre. Dann ist Brasch tot. Geboren wurde er übrigens (im Februar) am gleichen Tag , da Georg Büchner starb.

Ein bitterer, ans Leben gefesselter, trauriger Film. Wer danach nicht im Zwange steht, Brasch zu lesen, war im falschen Film. Schon bevor der begann!

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