Streit um Kosten für keinen Bahnhof

Baden-Württemberger Minister setzt Bürgern neue Zahlen vor

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Volksabstimmung zu Stuttgart 21 spitzt sich auf die Frage zu, wie hoch die Kosten für einen Ausstieg aus dem Bahnhofsprojekt wären. Drei Wochen vor dem Volksentscheid liegen darüber ganz unterschiedliche Zahlen vor.

Seit Langem behaupten die Befürworter des unterirdischen Bahnhofs, der Ausstieg des Landes aus dem Projekt werde 1,5 Milliarden Euro kosten. Nun stellte der erklärte Gegner des Tiefbahnhofs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) eine Untersuchung vor, wonach das Land eventuell 350 Millionen Euro zahlen müsste, wenn es aus dem Vertrag mit der Bahn aussteigt. Die unterschiedlichen Zahlen sorgen für Krach in der grün-roten Koalition.

In gut drei Wochen, am 27. November, sollen die Baden-Württemberger abstimmen. Wer will, dass das Land aussteigt, muss mit »Ja« stimmen. Die Befürworter von Stuttgart 21 müssen »Nein« ankreuzen. Landauf, landab laden Befürworter und Gegner zu Veranstaltungen ein und kleben Plakate. »1,5 Milliarden für den Ausstieg verschwenden?« heißt es auf einem Plakat der S 21-Befürworter. Die Summe stammt von Bahnchef Rüdiger Grube und wird von CDU, FDP und SPD gerne übernommen, denn so viel Geld fürs Nicht-Bauen dürfte manchen Schwaben ins Grübeln bringen.

Minister Hermann hat die Wirtschaftsprüfgesellschaft Märkische Revision GmbH aus Essen beauftragt, sich die Unterlagen genauer anzuschauen. Sie kam - wenig überraschend - zu einem anderen Ergebnis: Um die 350 Millionen Euro Ersatzansprüche könnten auf das Land zukommen, so ihr Fazit. »Das ist konservativ und vorsichtig geschätzt«, erklärte Geschäftsführer Hans-Henning Schäfer gestern in Stuttgart. Man müsse genau unterscheiden zwischen Ausstiegskosten und Ersatzansprüchen. So beinhalten die 1,5 Milliarden Euro der Bahn Kosten, die sie selbst tragen müsste. Zum Beispiel 700 Millionen Euro, die die Bahn an die Stadt Stuttgart zurückzahlen müsste, weil sie der Stadt Grundstücke verkauft hatte. »Das ist für die Bahn sicherlich unerfreulich«, so Schäfer. »Aber unserer Ansicht nach ist das letztlich kein Schaden. Die DB stünde dann genauso da wie vor dem Grundstücksverkauf.«

Tatsächliche Ersatzansprüche ans Land könnten nur für tatsächlich angefallene Baukosten und nur zum Teil für Auftragsvergaben gestellt werden. Wie das berechnet werde, sei rechtlich vorgegeben, unterstrich Schäfer. Weil man nicht alle Bahnunterlagen einsehen konnte, setzen die Wirtschaftsprüfer noch einen Risikozuschlag über 37 Millionen Euro an. Endergebnis: 350 Millionen. »Das ist keine anerkannte Summe«, betonte Minister Hermann. Letztlich würden Ersatzansprüche sicherlich vor Gericht ausgefochten werden. »Auch 350 Millionen Euro sind viel Geld«, so Hermann. »Aber ich sage: Lieber ein Ende mit überschaubaren Kosten als Kosten ohne Ende. Und wir gehen ja fest davon aus, dass der Kostendeckel des Gesamtprojektes von 4,5 Milliarden Euro gerissen wird.« Mit dem Gutachten jedenfalls hoffe er, »eine Informationslücke geschlossen zu haben«.

Keineswegs. Kaum war die Pressekonferenz beendet, legte der Koalitionspartner SPD los. Schon vorab hatte Fraktionsvorsitzender Claus Schmiedel von einem »bestellten Pseudogutachten« gesprochen, von einem »Schlechtachten« geredet, von einer »Mogelpackung voll mit Wunschträumen«. Letztlich ist es Schmiedel auch »egal, ob man von einigen Hundert Millionen Euro Schadensersatz oder von einem Betrag in Milliardenhöhe ausgehe«. Am Ende bekomme man »für viel Geld nichts«.

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