Ölbohrung im einmaligen Ökosystem

Greenpeace warnt vor den Gefahren weiterer Explorationen für das norddeutsche Wattenmeer

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Energieriese RWE hat schwer am Atomausstieg zu knabbern. Jetzt soll die Ausweitung der Ölförderung im Wattenmeer für sprudelnde Einnahmen sorgen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat sich in den Streit um die von RWE Dea beantragte Genehmigung für Probebohrungen im Wattenmeer eingeschaltet. Die Erkundung eines eventuellen Erdölvorkommens sei strikt abzulehnen, sagt Ölexperte Jörg Feddern - und hofft auf die Politik.

Schon im Jahr 2008 fuhr der Diplom-Biologe zum Großen Knechtsand, einer Sandbank im niedersächsischen Wattenmeer, und versenkte dort eine Tonne mit der Aufschrift »Keine Ölförderung im Wattenmeer«. »Ich sehe das heute genauso wie damals«, sagt der 51-Jährige, der seit 1994 bei Greenpeace arbeitet. »Ich habe genug erlebt, um zu wissen, welche Risiken mit den von RWE Dea geplanten Bohrungen verbunden sind.«

Tankerunglücke, Pipelineunglücke, Plattformunglücke - Feddern machte in seinem Job eine Menge Erfahrungen mit Katastrophen, die von der Ölindustrie verursacht wurden. Unter anderem beschäftigte er sich mit den Auswirkungen der Havarie der BP-Ölplattform »Deepwater Horizon«, die am 20. April 2010 im Golf von Mexiko explodierte. Erst kürzlich war er in der Komi-Region im Nordwesten Russlands, um 17 Jahre nach seinem ersten Einsatz für Greenpeace die Folgen der Katastrophe von 1994 zu dokumentieren. Damals traten über 100 000 Tonnen Öl aus einer Pipeline aus. »Noch heute gibt es in der Komi- Region nicht nur ölbedeckte Flüsse, sondern auch richtige Ölseen«, so Feddern, »mit allen Konsequenzen für die Bevölkerung.«

Die Allgemeinheit haftet mit

Diese Fälle hätten mit den nun geplanten Bohrungen im schleswig-holsteinischen Nationalpark Wattenmeer mehr zu tun, als man bei oberflächlicher Betrachtung annehme. Jede Bohrung bringe das Risiko eines Unfalls mit sich. Für eventuelle Folgen würden die Konzerne, in diesem Fall RWE Dea, nur zum Teil haften, den Rest trage die Allgemeinheit.

Aber auch wenn nicht der schlimmste Fall eintrete, spräche Vieles gegen die Bohrungen, die RWE Dea schon seit Jahren plane, wenngleich erst jetzt der Genehmigungsantrag im Kieler Umweltministerium gestellt wurde. »Erstens stehen in der Nordsee bereits 450 Plattformen, aus denen pro Jahr rund 10 000 Tonnen Öl austreten und das Ökosystem schädigen. Zweitens wollen wir die Energiewende. Öl ist aber ein Giftstoff, der nach der Förderung verfeuert wird und das Klima schädigt. Das verträgt sich nicht«, sagt Feddern. Das Wattenmeer sei ein »einmaliges Ökosystem«, was auch in seinem Status als Weltnaturerbe deutlich werde. Also sollte hier die Jagd nach Rohstoffen nicht zugelassen werden. Ferner würde eine Förderung der vermuteten Menge von 20 Millionen Tonnen Erdöl ein bis zwei Jahrzehnte dauern und die Importabhängigkeit nicht beseitigen können. »Und vor allem«, erklärt der Experte, »steht im schleswig-holsteinischen Nationalparkgesetz sinngemäß, dass außer der Förderplattform Mittelplate bei Friedrichskoog keine weiteren Plattformen installiert werden dürfen. Das wäre jedoch sehr wahrscheinlich nötig, da die Förderung von Land aus erfolgen müsste.«

Feddern will nun für Greenpeace sowohl Gespräche mit RWE Dea als auch mit dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium führen. Er hofft auf eine politische Entscheidung, die das Ausbeuten der letzten Öl-Reserven nicht weiter forciert.

Ein Thema für den Wahlkampf

Damit liegt die Verantwortung nun bei Schleswig-Holsteins Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Juliane Rumpf (CDU). Dabei könnte die von ihrem Sprecher Christian Seyfert getätigte Aussage, bis zur Entscheidung werde es dauern, noch brisant werden. Schließlich finden am 6. Mai 2012 die vorgezogenen Neuwahlen in Schleswig-Holstein statt, da das Wahlrecht des Landes vom Kieler Verfassungsgericht am 30. August 2010 in Teilen für verfassungswidrig erklärt worden war. Somit könnte das Wattenmeer zum Wahlkampfthema werden. Jörg Feddern gibt sich jetzt schon vorsichtig optimistisch: »Unsere Argumente sind sehr gut. Ich gehe davon aus, dass die Probebohrungen niemals stattfinden werden.«

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