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Mut und Hoffnung

Katharina Geiser führt auf die Kanalinsel Jersey

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerade an kalten Wintertagen kann dieser Roman stärken und wärmen, obwohl er vom Zweiten Weltkrieg handelt. Denn die zwei Heldinnen schaffen es in einer desolaten Situation, so viel Innigkeit zu verströmen, dass dem Leser das Herz aufgeht. Und ganz nebenbei erfährt er interessante Details und Fakten über einen Nebenschauplatz des Krieges. Ein Buch, das zu Lebensfreude, Widerspenstigkeit und Courage auffordert.

Lucy ist immer streitlustig, Suzanne ausgleichend und abwägend, Stiefgeschwister und zugleich Liebespaar, siedeln sie von Paris auf die Kanalinsel Jersey um. In aller Ruhe wollen sie schreiben, fotografieren und malen. Doch der »kloakenbraune« Zeitgeist ist ihrem bunten und intellektuellen Leben feindlich gesinnt. Die deutsche Okkupation zerstört die Inselidylle, greift bedrohlich nach dem Leben der Inselbewohner und zeigt im weiteren Kriegsverlauf ihr tödliches Gesicht.

Die Frauen denken an Flucht und gehen dann doch einfach ihrer Gartenarbeit nach. Ihr Schmerz wirkt seltsam gelassen. Der Widerstand besteht darin, das gewohnte Leben stoisch weiterzuführen. Doch unter der Oberfläche rumoren rebellische Gedanken, geäußert nur in vertrauter Zweisamkeit.

Die anfänglich »friedliche Übernahme« verschärft sich schleichend. Die Deutschen nehmen für sich in Anspruch, was sie brauchen. Wer ihren Verordnungen zuwider handelt, dem droht Gefängnisstrafe. Fischen verboten, fotografieren verboten, Tabak wird rationiert, und es gibt erste Verordnungen gegen Juden.

Geschichte veranschaulicht an Einzelschicksalen. Katharina Geiser stellt Geschehnisse oft nur skizzenhaft dar. Doch gerade dadurch steht dem Leser das emotionale Erleben der beiden Frauen umso deutlicher vor Augen. Ihre Bilder verdichten die Atmosphäre: In einer schlaflosen Nacht Lucys knabbert immer wieder eine Maus. Nagende Angst.

Was sie vorher nur im Stillen äußerten, tragen die Frauen schließlich mutig nach draußen: Sie verfassen Texte, kleben Kollagen – ihr Pseudonym ist »Der Soldat ohne Namen«. Bei Spaziergängen über die Insel hinterlassen sie die Zeugnisse ihres formulierten, trotzigen Widerstands. Ihr Tun steigert die Beklemmung; schnell stecken sie in einem Knäuel von Vorsichtsmaßnahmen. Nur ihre übermütige Lebenslust lässt sie das Versteckspiel meistern.

Nahrungsmittel werden knapp, die Zahl der Zwangsarbeiter steigt. Es ist die Zeit des Hitlerattentats. Die Wehrmacht kommt dem verborgenen Treiben der Frauen auf die Schliche. Abgeführt. Einzelhaft. Todesurteil. »Aber wir sind eingeholt worden, die Weltgeschichte ist uns vor die Füße gerollt«, steht in einem der vielen geschmuggelten Briefe aneinander. Durch die regelmäßige Korrespondenz nimmt der Leser an ihrem weiteren Schicksal teil. Der Wahnsinn der Gefangenschaft wird zum Alltag. Nur Fantasie, Erinnerung, die Sehnsucht nacheinander sowie der Gemeinschaftssinn der »Politischen« halten die Frauen aufrecht. Ihre Klugheit und Geradlinigkeit hat sie in die Misere geritten, verhilft ihnen jetzt aber auch zu manchem Privileg. Schwer gezeichnet überleben sie das Kriegsende.

Bleiben die Beschreibungen Katharina Geisers karg, ist ihre Wirkung doch stark. Oft ist es das Nicht-Gesagte, das sich einprägt, eine Spur hinterlässt. Die blumige Fülle einiger Passagen ist zu viel. Die Anzahl der Exkurse zu Gunsten weiterer Kriegsschicksale ist gar nicht nötig. Denn letztlich sind es die unbeugsamen Charaktere der beiden Frauen, die faszinieren, der Mut, mit dem sie ihre Realität vertreten und ihr liebevoller Zusammenhalt. Ein Roman, der trotz der thematisierten dunklen Zeit Hoffnung hinterlässt. Ein Buch vielleicht gerade für Frauen. Hier ist Raum für intuitive Logik, es darf hemmungslos gefühlt werden.

Katharina Geiser: Die Gezeiten. Roman. Jung und Jung. 362 S., geb., 24 €

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