Kerneuropäische Sparfüchse

IWF erhält neue Mittel zur Krisenbewältigung

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.
Bis Freitagmittag wurde in Brüssel verhandelt. Am Ende haben sich 17 Euro-Länder auf die Forderung Deutschlands und Frankreichs geeinigt, einen zwischenstaatlichen Vertrag für Haushaltsdisziplin zu schließen. Weitere Länder könnten folgen.

Die Handschrift von Angela Merkel ist unübersehbar. Der geplante Vertrag sieht automatische Strafen für Defizitsünder und gesetzlich festgeschriebene Schuldenbremsen in den nationalen Haushalten vor. Wie die Verpflichtungen allerdings genau vertraglich verankert werden, muss zunächst von Rechtsexperten geklärt werden. Die EU gibt sich für die Details Zeit bis zum März.

Verstößt ein Land zukünftig gegen die vereinbarte Schuldenbremse, sollen automatische Strafen für Defizitsünder folgen, verhängt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH), allerdings ist noch offen, ob sich die Eurostaaten auf das Luxemburger Gericht als Schiedsinstanz einigen. Bisher ist der EuGH für die Durchsetzung des Unionsrechts innerhalb der Europäischen Union zuständig. Die Strafen, die das Gericht dabei verhängen kann, sind drakonisch. Die Grundsätze der Schuldenbremse sollen von der EU-Kommission festgelegt werden, der EuGH soll deren Umsetzung in nationales Recht überprüfen. Erwogen wird zudem, dass die EU-Kommission die Haushaltsentwürfe der nationalen Regierungen prüft. Durchsetzen konnte sich Merkel auch mit ihrer hartnäckigen Haltung gegen gemeinsame Staatsanleihen. Die sogenannten Eurobonds, die krisengeschüttelten Ländern niedrigere Zinssätze verschaffen könnten, werden nicht eingeführt.

Der künftige dauerhafte Euro-Rettungsfonds ESM soll bereits Mitte 2012 einsatzfähig sein, anstatt wie bisher geplant im Jahr 2013. In der Übergangszeit bleibt der EFSF bestehen. Im März 2012 wollen die Euroländer prüfen, ob die verfügbare Gesamtsumme in beiden Fonds von höchstens 500 Milliarden Euro nicht doch angehoben wird. Eine Aufstockung lehnt Deutschland bislang ab. Entscheidungen über Finanzhilfen sollen künftig nicht mehr einstimmig, sondern mit einer Mehrheit von 85 Prozent gemessen an dem Beitragsschlüssel getroffen werden. Dadurch soll vermieden werden, dass kleine Länder wichtige Entscheidungen verhindern. Deutschland hat das größte Stimmgewicht und kann die Vergabe von Hilfsgeldern blockieren.

Zugang zu Krediten der Europäischen Zentralbank (EZB) erhält der ESM nicht. Auch in diesem Punkt setzte sich Merkel durch. Mit einer Banklizenz hätte sich der Fonds Geld bei der Zentralbank leihen können. Dieses Modell könnte aber zu Inflation führen, wenn die EZB dafür die Notenpresse anwerfen muss. Zudem ist eine solche Finanzierung von Staaten durch die EZB verboten.

Mehr Macht bekommt der Internationale Währungsfonds. Die EU-Länder wollen bis zu 200 Milliarden Euro für die Krisenbekämpfung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Form von bilateralen Krediten bereitstellen. Der Idee zufolge stellen die Notenbanken der EU-Länder dem IWF das Geld bereit, um Hilfen für die Euro-Krisenländer zu finanzieren.

Frohlocken dürften die Banken. Hier hat Angela Merkel ihre wohl eher durch innenpolitischen Druck entstandene Ablehnung aufgegeben. Zukünftig werden private Gläubiger wie Banken nur noch im »aller, aller, allerletzten Fall« beteiligt werden, wie der Sprecher des Bundesfinanzministeriums Martin Kotthaus erklärte. Eine Privatsektorbeteiligung solle in Zukunft vermieden werden, da dadurch die Märkte zu sehr verunsichert würden. Bei Staatspleiten soll künftig nach den Regeln des IWF vorgegangen werden. Die müssen für private Investoren allerdings nicht zwingend Vorteile bringen. In der Vergangenheit sorgte der IWF bei Staatsinsolvenzen mitunter für tiefe Eingriffe in die Rechte der Gläubiger. Der Fall Griechenland soll somit absolute Ausnahme bleiben, was EU-Politiker allerdings auch vor dem Gipfel immer wieder betont hatten.

Während der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer das Ergebnis des Gipfels als grundsätzlich positiv bewertete, auch wenn »der Höhepunkt der Staatsschuldenkrise noch nicht hinter uns liegt«, kritisierten Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Linke die Einigung des Gipfels scharf.

»Mit dieser Fiskalunion wird nicht an der Krisenursache - der Bankenkrise und der Fehlkonstruktion der Eurozone mit ihren Leistungsbilanz-Ungleichgewichten - angesetzt, sondern vor allem auf Sozialabbau abgezielt«, sagte Max Bank, Mitglied im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac. »Die soziale Ungleichheit in Europa wird verschärft, die Umverteilung von Arm zu Reich weiter beschleunigt.«

Claus Matecki, DGB-Vorstandsmitglied, kritisierte die Beschlüsse am Freitag in Berlin als »kurzfristig wirkungslos und langfristig sogar schädlich«. Wie die Wirtschaft in Krisenländern aktiv gestärkt werden könne, sei gar nicht diskutiert worden. »Stattdessen heißt die Devise erneut: Sparen, Sparen, Sparen! Wohin dieser Kurs führt, hat sich in Griechenland gezeigt. Dort bricht die Wirtschaftsleistung um fünf Prozent ein, die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordhöhen.«

Linksparteichef Klaus Ernst stellte die Lohnfrage in den Mittelpunkt: »Wer die Krise über Lohn- und Rentensenkungen lösen will, stürzt den Kontinent in Krise und Depression. Wir brauchen eine europäische Lohn- und Sozialoffensive.« Er appellierte an die Gewerkschaften, »in der Krise zu mehr europäischer Zusammenarbeit zu finden«. Eine Möglichkeit wäre, sich im Bündnis auf einen Lohnkoordinationsplan zu einigen, der für alle Länder Lohnzielmarken enthält. »Die Lohnsteigerungen in Deutschland müssen für ein Jahrzehnt deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Das hieße mehr Binnennachfrage in Deutschland und mehr Importe aus den europäischen Nachbarländern.« Mit Agenturen

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