Der Staatsanwalt und die Karpfen
In Polen werden Weihnachtskarpfen mit dem Hammer erschlagen, dafür droht jetzt Gefängnis
Alle Jahre wieder kommt es in vielen polnischen Badezimmern wenige Stunden vor der Bescherung zum Blutbad. Denn an Heiligabend gehört traditionell Karpfen auf die weihnachtliche Festtafel - und der Fisch soll frisch sein, ganz frisch. Tierschützer appellieren seit Jahren, lieber Fisch aus der Tiefkühltruhe zu kaufen. Dennoch schwören viele Polen weiter auf frisch geschlachteten Karpfen.
Doch der auf dem Markt erworbene Fisch spaltet die Gemüter. Bis Heiligabend schwimmt er seine Runden in der Badewanne oder im Waschbecken. Mal haben sich die Kinder dann an den schuppigen Hausgenossen gewöhnt und verlieren den Appetit, wenn er vor ihnen auf dem Teller liegt. Mal hängt der Haussegen schief, weil die Hausfrau wenig Lust verspürt, wenige Stunden vor der Bescherung Blut von den Badezimmerfliesen zu waschen.
»Eine Schweinerei ist das«, schimpft etwa Kinga Lisicka aus Warschau, die in diesem Jahr einen tief gefrorenen Fisch durchgesetzt hat. »Wenn der Karpfen mit dem Holzhammer erschlagen wird und nicht beim ersten Schlag tot ist - überall spritzt das Blut rum. Da kommt doch keine Weihnachtsstimmung auf.«
Auch Polens Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet hat sein Herz für Karpfen entdeckt. Rechtzeitig vor dem weihnachtlichen Karpfengemetzel ließ er den Staatsanwaltschaften des Landes ein vierseitiges Rundschreiben zukommen: Schluss mit der Tierquälerei, Karpfen sollten auf »humane Weise« getötet werden. Und nein: Die Holzhammermethode sei keinesfalls human. Bis zu einem Jahr Gefängnis drohe für Tierquälerei. »Karpfen sind Wirbeltiere und unterliegen dem Tierschutzgesetz«, schreibt Seremet.
Bei den Anklagebehörden stößt das Schreiben auf verhaltene Reaktionen. Einige machten sich in Interviews lustig über die Anweisung, Karpfen beschützen zu sollen: Sie hätten doch nun wirklich Besseres zu tun. Und überhaupt sei die Ermittlungslage in diesem Fall eher schwierig.
Anders als bei kulleräugigen Seehundbabys oder flauschigen kleinen Tigern ist der Niedlichkeitsfaktor von Karpfen eher gering. Ein zappelnder Fisch in der Einkaufstasche ruft in der Öffentlichkeit weit weniger Empörung hervor als wenn ein Welpe von seinem Besitzer verprügelt wird.
Lediglich von der Naturschutzorganisation »Klub Gaja« erhält Seremet Beifall für seine Bemühungen. »Man darf nicht zulassen, dass ein Lebewesen um des schnellen Profits willen wie ein Produkt behandelt wird«, betont Gaja-Chef Jacek Bozek. Der Weihnachtskarpfen sei der einzige Artikel in Lebensmittelgeschäften, der lebendig verkauft werde. »Er sollte, wie alle anderen Fische, auf Eis liegen.«
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