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US-Historiker Faschistische Kräfte bereits an der Macht
Mark Bray plädiert für Streiks und Besetzungen im Widerstand gegen die Trump-Administration
Sie werden seit Jahren immer wieder von Rechtsextremen bedroht. Weshalb jetzt ihr Beschluss, die USA zu verlassen?
Wir werden für ein Jahr weggehen und dann weitersehen. Das Doxing (das gezielte Veröffentlichen privater und anderer Dokumente über eine Person, um deren Belästigung, Bloßstellung und Bedrohung zu fördern, d. Red.) findet ja seit Jahren statt, ich gelte dem rechten Sender Fox News seit Langem als »Antifa-Professor«. Aber es ist so konkret und so bedrohlich geworden, dass diese Woche bekannte Rechtsextreme unsere Wohnadresse veröffentlicht haben. Damit wird auch meine Familie direkt bedroht. Meine Kurse gab ich vorher nach Absprache mit meiner Dekanin nur noch online, nachdem ich in einer anonymen E-Mail die Drohung erhalten hatte, man würde mich während der Vorlesung umbringen.
Im September verfügte Präsident Trump per Dekret, »Antifa« sei eine »einheimische Terrororganisation«, die zerschlagen werden müsse. Justizministerin Pam Bondi setzte danach »Antifa« mit der Hamas und dem Islamischen Staat gleich …
Behauptet wird, es handele sich quasi um eine monolithische Organisation mit einer spezifischen Führung, die von finsteren Kräften wie George Soros finanziert werde. In rechtsextremen Kreisen kursierte besonders 2017 und 2018 die Behauptung, es handele sich um den paramilitärischen Arm der Demokratischen Partei. Während der George-Floyd-Proteste 2020 wurde der Black-Lives-Matter-Bewegung das Kürzel »Antifa« beigegeben, das Schlagwort »BLM-Antifa« wurde popularisiert. Das eigentliche Ziel besteht wohl darin, die Mitglieder solcher Gruppen als Werkzeuge einer vermeintlich »jüdischen Finanzmacht« im Dienste der Demokratischen Partei darzustellen, verbunden mit verschiedenen radikalen Organisationen von People of Color.
Der Historiker Mark Bray lehrte an der Rutgers University in New Brunswick im US-Bundesstaat New Jersey. Er ist Autor zahlreicher Bücher über die Geschichte des Anarchismus und von »Antifa. The Anti-Fascist Handbook«, das 2017 erschien. Aufgrund von Todesdrohungen gegen ihn verlegte er seine Kurse zunächst ins Internet. Jetzt beschloss er, die USA mit seiner Familie zu verlassen und sich vorübergehend in Spanien niederzulassen. Am Donnerstagnachmittag konnte er mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern ein Flugzeug nach Madrid besteigen, nachdem der Familie die Ausreise am Vortag noch verweigert worden war. Die Familie saß an die 24 Stunden im Newark Liberty International Airport fest.
Und was ist »Antifa« in den USA wirklich?
Antifaschismus ist ein sehr breiter Begriff. Darin sind verschiedene Traditionen enthalten. Historiker*innen benutzen ihn oft im weitesten Sinne, indem sie darunter jede Kraft fassen, die gegen die Achsenmächte des Zweiten Weltkriegs Widerstand leisteten. Der sozialistisch-antikapitalistischen Definition nach, die sich davon unterscheidet, hat der Widerstand gegen den Faschismus nicht nur deshalb zu erfolgen, weil dieser tyrannisch und undemokratisch ist, sondern auch, weil er einen Verteidigungsmechanismus des kapitalistischen Systems darstellt. In der englischsprachigen Definition entspringt der Begriff einer militant-antifaschistischen Tradition. Staat, Polizei und Gerichte können dabei nicht die Rolle des antifaschistischen Akteurs einnehmen, weil sie strukturell dazu nicht in der Lage sind.
Insofern bedeutet »Antifa« staatsfeindliche oder staatsferne Politik. Sie rührt von der Tradition des Netzwerks Antiracist Action seit den 80er Jahren her. Der Begriff Antifa wird in den USA erst seit etwa 2007 in einem bedeutsamen Sinn verwendet. Größere öffentliche Aufmerksamkeit erhielt er endgültig mit den Ereignissen von Charlottesville 2017 durch einige autonome, meist anarchistische und antiautoritäre Gruppen (Am 12. August 2017 fuhr in der Stadt in Virginia ein 20-jähriger Neonazi absichtlich in eine Gruppe von Demonstranten, die gegen einen rechtsextremen Aufmarsch protestierten. Dadurch starb die 32-jährige Bürgerrechtlerin Heather Heyer, mindestens 19 weitere Menschen wurden verletzt, d. Red.)
In Ihrem Buch von 2017, das zu einem Bestseller geworden ist, beziehen Sie sich ausschließlich auf diese »junge« Antifa …
Klar: Die Politik des Antifaschismus reicht auch in den USA über mehr als 100 Jahre zurück. Sie nimmt in ihrer heutigen Form ihren Ausgang in der Nachkriegszeit und den damaligen Debatten und Konflikten innerhalb der europäischen Linken darüber, wie am besten auf die aufkommende Bedrohung durch Faschismus und Nationalsozialismus zu reagieren sei – und eben auch in den USA.
Wo sehen Sie die Wurzeln von antifaschistischem Engagement in den Vereinigten Staaten?
Vom späten 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es eine Vielzahl von Aktivitäten gegen den Ku-Klux-Klan. Manche setzten auf bewaffnete Selbstverteidigung, andere konzentrierten sich darauf, die Gräueltaten des Klan in der Presse publik zu machen. Robert F. Williams veröffentlichte ein einflussreiches Buch mit dem Titel »Negroes with Guns«, in dem er dafür plädierte, schwarze Gemeinden zu bewaffnen, um gegen den Klan zurückschlagen zu können. Dieses Werk hatte später erheblichen Einfluss auf die Black Panther Party und andere Formen schwarzer militanter Politik. Wenn man den Ku-Klux-Klan nach dem amerikanischen Bürgerkrieg als die erste Art einer protofaschistischen Formation betrachtet, was ich für überzeugend halte, dann muss man die Organisationsarbeit und den Widerstand dagegen als eine Art proto-antifaschistische Bewegung verstehen.
Später, insbesondere während der Zeit von Mussolinis Invasion in Äthiopien und der Kampagne »Hands Off Ethiopia«, überschnitten sich antifaschistische Aktivitäten in den USA mit dem Engagement gegen die Verurteilung der Scottsboro Boys und dem Widerstand gegen Schwarze diskriminierende Gesetze. In den 30er Jahren existierte daher eine lebendige Tradition Schwarzer linker, nationalistischer und antifaschistischer Politik. Zahlreiche Afroamerikaner*innen reisten damals nach Spanien, um dort gegen die Putschisten zu kämpfen. Die KP der USA spielte dabei eine wichtige Rolle. Und nach dem Zweiten Weltkrieg beschrieben viele Schwarze Linke Rassentrennung und rassistische Gesetze als etwas, das sich kaum oder gar nicht vom Faschismus unterscheide, teils sogar als eine Form von Faschismus.
Wie blicken Sie heute auf das politische Engagement und den Widerstand gegen das Trump-Regime?
Sehr viele Demokraten und Liberale sind besorgt über die gegenwärtige Entwicklung. Großartig sind die Online-Organisierungen, etwa durch die Bewegung »Indivisible« (Unzertrennlich). Am 18. Oktober wird es voraussichtlich die größten Demonstrationen in der Geschichte der USA geben. Und genau da muss man ein »Aber« einschieben. Denn ein eintägiger Protestmarsch, egal welcher Größe, ist ein symbolischer Akt und greift in keiner Weise in die Funktionsweise von Trumps Staatsapparat ein. Man braucht Menschen auf der Straße, das ist sehr wichtig. Aber ich glaube nicht, dass Trump und seine Verbündeten sich im Moment wirklich um Proteste auf der Straße kümmern, weil sie diese einfach als Ausdruck von Opposition sehen. Die Leute gehen nach Hause, und die Leute vom Immigration and Customs Enforcement, ICE, machen weiter wie bisher. Und wer weiß, ob es überhaupt noch Wahlen geben wird. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Denn vielleicht kommt es doch noch zu militanteren Formen des Widerstands, etwa Besetzungen oder Blockaden. Man könnte über Generalstreiks oder Ähnliches nachdenken. Aber das ist in den USA keine Tradition – und es fehlt ohnehin an der gewerkschaftlichen Infrastruktur, um so etwas umzusetzen.
Was sagen Sie zu dem befürchteten Szenario, dass Trump und ICE selbst Unruhen provozieren könnten, um einen Vorwand für die Verhängung des Kriegsrechts zu haben?
Das ist das Paradox des Widerstands: Selbst wenn dieser nicht besonders militant ist, sondern vielleicht nur leicht außerhalb der traditionellen Formen demokratischer Politik stattfindet, kann das vom Staat genutzt werden, um Rechte weiter einzuschränken und Repression zu rechtfertigen. Es gibt zwei Möglichkeiten, auf dieses Paradox zu blicken. Die gängige Argumentation lautet: Man darf nichts tun, was als unordentlich oder außer Kontrolle wahrgenommen werden könnte. Man demonstriert, geht nach Hause und ruft dann seinen Abgeordneten an. Die andere Sichtweise erkennt, dass staatliche Provokation Folgen haben wird – und versucht, diese Erkenntnis strategisch zu nutzen, um gezielt Formen des Widerstands zu wählen, die den Staat tatsächlich schwächen und populären Widerstand stärken. Denn das Regime wird ohnehin eine Krise oder einen Vorwand konstruieren, egal was wir tun.
Wenn der Grundsatz lautet: »Wir dürfen uns nicht wehren, weil sie sonst wütend werden«, dann ist das keine Erfolgsstrategie. Eine magische Lösung habe ich allerdings nicht. Jedenfalls ist die Situation, in der wir uns in den USA befinden, historisch einmalig. Wenn wir von einem aufsteigenden Faschismus und antifaschistischen Kämpfen sprechen, sind wir eindeutig über den Punkt eines potenziellen präventiven Antifaschismus hinaus – also jenen, der Skinheads vom Machtzugang abhalten könnte. Leute wie Trumps Berater Stephen Miller und andere sind bereits an der Macht. Aber wir sind auch noch nicht an einem Punkt wie im Spanischen Bürgerkrieg oder im Zweiten Weltkrieg. Wir befinden uns irgendwo dazwischen.
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