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»Politisch eine Eselei«

Paris: Neues Gesetz verärgert die Türkei

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Gesetz, das das Negieren von Völkermord und vor allem des Massakers der Türken an den Armeniern 1915 unter Strafe stellt, wurde in der Pariser Nationalversammlung am Donnerstag in erster Lesung mit großer Mehrheit angenommen.

Während Debatte und Abstimmung fanden vor dem Parlament zwei Demonstrationen statt, die durch die Polizei voneinander getrennt werden mussten - eine kleine pro-armenische und eine massive pro-türkische.

Bei den blutigen Ausschreitungen in der Türkei gegen die armenische Minderheit sind 1915/16 nach Angaben von Historikern bis zu 1,5 Millionen Menschen ermordet worden, während die Türkei offiziell 500 000 einräumt. Auf der Flucht vor den Mördern kamen viele Armenier nach Frankreich und fanden hier eine neue Heimat. Die meisten ihrer heute rund 500 000 Nachfahren begrüßen das Gesetz, das bereits 2006 eingebracht, aber bisher von der Rechtsregierung immer wieder zurückgestellt wurde, um die wegen Ablehnung einer türkischen EU-Mitgliedschaft ohnehin angespannten Beziehungen mit Ankara nicht noch mehr zu belasten.

Der Text droht bei Negierung von Völkermord ein Jahr Gefängnis und 45 000 Euro Geldstrafe an. Von der Türkei wird das Gesetz vehement verurteilt. Zwei Delegationen, eine mit türkischen Parlamentsabgeordneten und eine mit Unternehmern, haben in den zurückliegenden Tagen bei Treffen mit Partnern in Paris die Annahme noch zu verhindern versucht. Das Gesetz stellt ihrer Überzeugung nach eine schwere Belastung der Beziehungen dar und würde ernste politische und wirtschaftliche Folgen haben. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu verurteilte das Gesetz in »Le Monde« als »Verletzung der nationalen Würde« seines Landes. Die Türkei habe seit 2006 wiederholt die Bereitschaft zum Dialog mit Armenien über die gemeinsame, oft leidvolle Geschichte erklärt. Die Archive beider Länder sollten geöffnet und eine gemeinsame Historikerkommission gebildet werden. Doch eine solche Diskussion sei »nicht unter Androhung von Strafe für eine Seite oder Meinung« möglich. Die türkische Regierung sei »befremdet« über die Behandlung dieses »populistischen« und »innenpolitisch motivierten« Gesetzes im Parlament, zumal Präsident Nicolas Sarkozy dem türkischen Premier Erdogan in der Vergangenheit zugesagt hatte, dass er sich gegen diese Gesetzesinitiative einsetzen wolle.

Tatsächlich jedoch ist Sarkozy erst kürzlich wieder zugunsten der Armenier umgeschwenkt, um sich in dieser Frage nicht vom sozialistischen Präsidentschaftskandidaten François Hollande deklassieren zu lassen.

Doch selbst einigen Mitgliedern der Rechtsregierung ist der Vorstoß der eigenen Abgeordneten, die angesichts der für 2012 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf der Jagd nach den Stimmen der Franzosen armenischer Herkunft sind, peinlich. Sie hätten es lieber bei der schon 2001 erfolgten offiziellen, aber folgenlosen Anerkennung des Völkermords an den Armeniern von 1915 belassen.

So erklärte Außenminister Alain Juppé jetzt Journalisten gegenüber, das neue Gesetz sei »intellektuell, wirtschaftlich und politisch eine Eselei«. Immerhin ist die Türkei Frankreichs drittgrößter nichteuropäischer Handelspartner nach den USA und der Volksrepublik China. Der Handelsaustausch betrug im vergangenen Jahr 11,7 Milliarden Euro.

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