Leben nach der Welle

Begegnungen in Khao Lak sieben Jahre nach dem Tsunami, der 230 000 Menschen das Leben nahm

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Erdbeben der Stärke 9,1 vor der Küste Sumatras löste am 26. Dezember 2004 einen Tsunami aus, der 230 000 Menschen das Leben nahm, 1,5 Millionen obdachlos machte und in zwölf Ländern schwerste Schäden hinterließ. Viele der Toten - mehr als 5500 kamen aus Deutschland - waren Urlauber. Sieben Jahre nach der Katastrophe begaben wir uns auf Spurensuche im thailändischen Khao Lak, wo mehr als 4000 Menschen starben, davon 500 Deutsche.
Anne fand durch die Katastrophe ihre berufliche Bestimmung.
Anne fand durch die Katastrophe ihre berufliche Bestimmung.

Es beschleicht einen schon ein merkwürdiges Gefühl hier am Hotelstrand: Am Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages vor sieben Jahren war das Meer genau so ruhig wie heute, die ersten Urlauber hatten es sich auf ihren Liegen bequem gemacht, als das Wasser schlagartig wie von Geisterhand verschwand. Nur Minuten später kam es als zehn Meter hohe, brüllende Wand zurück und verschlang 200 Menschen in der erst drei Tage zuvor eröffneten neuen Ferienanlage Sofitel Magic Lagoon. In keinem Hotel Thailands forderte der Tsunami mehr Tote. Erst vor zwei Jahren öffnete es als eine der schönsten Anlagen der Region unter neuem Namen als JW Marriott Khao Lak wieder.

Sivadee arbeitet hier als Fahrer, wie schon 2004, als die Welle neben vielen Urlaubern auch 60 seiner Kollegen tötete. Dass er noch lebt, verdankt er einem glücklichen Zufall. Er habe an jenem Tag in einem Hotel ein paar Kilometer weiter im Landesinneren ausgeholfen, erzählt er. Nachdem sich die Welle zurückgezogen hatte, habe er den ganzen Tag einfach nur funktioniert, Verletzten geholfen und Tote geborgen. Völlig fertig sei er spät in der Nacht nach Hause gefahren, als er unterwegs auf einen Deutschen traf, der wie geistesabwesend durch die Gegend irrte. Kurzerhand nahm ihn Sivadee mit zu seiner Familie, die den unter Schock stehenden Urlauber aufnahm, bis er wieder einigermaßen ansprechbar war und nach Hause fliegen konnte. Sieben Jahre später stehen Retter und Geretteter noch immer in Verbindung. Alljährlich im Dezember, erzählt Sivadee, schicke der Deutsche eine größere Geldsumme mit der Bitte, sie einem sozialen Projekt zu übergeben.

Glück im Unglück hatte Anne Tisch-Rottensteiner aus Nürnberg, die im Dezember 2004 in Phuket Urlaub machte und am zweiten Weihnachtsfeiertag einen Ausflug zur Insel Ko Phi Phi gebucht hatte. »Als die Welle kam, war unser Boot auf halbem Wege dorthin. Glücklicherweise waren wir noch weit genug vom Ufer entfernt, so dass sie gewissermaßen unter unserem Boot wegtauchte. Nur ein leichtes Schaukeln haben wir gespürt. Minuten später erhielt unser Bootsführer einen Funkspruch, er solle auf keinen Fall näher herankommen, auf der Insel habe es ein Unglück gegeben. Mehr allerdings erfuhren wir nicht«. Sieben Stunden verbrachten Anne und ihre Mitreisenden auf dem Wasser, keiner wusste, was passiert war. »Erst als wir Leichen und Verletzte im Wasser sahen, begriffen wir, dass es etwas Schreckliches sein musste. Stundenlang holten wir Leute aus dem Wasser und leisteten erste Hilfe. Als wir endlich wieder in Phuket ankamen, war von dem Hafen, an dem wir morgens losgefahren waren, nichts mehr zu sehen.«

Anne blieb noch ein paar Wochen in Thailand und half den Einheimischen bei den Aufräumarbeiten. »Sag den Leuten in Deutschland, sie sollen wiederkommen, gaben sie mir mit auf den Heimweg, weil der Tourismus das Einzige sei, wovon sie hier leben können«, erzählt die heute 27-Jährige.

Aus dem, was sie in jenen schrecklichen Wochen erlebte, wuchs ihr Entschluss, Tourismus und internationale Entwicklung zu studieren. Schon während der Studienzeit kehrte sie jedes Jahr zurück nach Thailand, um in sozialen Projekten zu arbeiten. Nach ihrem Abschluss bekam sie einen Job als Gästebetreuerin in der School for Life, einer Einrichtung für Tsunamiwaisen rund 40 Autominuten von Khao Lak entfernt, zu dem auch ein Bungalowdorf für Urlauber gehört. Nach 15 Monaten lief die Stelle im Dezember vorerst aus. So sehr sich Anne darüber freut, dieses Jahr Weihnachten bei ihrer Familie in Nürnberg verbringen zu können, hofft sie doch, ganz schnell nach Thailand zurückzukehren. Dieses Land ist ihr längst zur zweiten Heimat geworden.

Wie auch dem Österreicher Wolfgang Meusburger. Der General Manager vom Hotel Holiday Inn in Phuket lebt seit 20 Jahren in Thailand. Er ist mit einer Thailänderin verheiratet und kennt die Mentalität der Einheimischen sehr gut. »Die Thais sind Stehaufmännchen«, sagt er, »wenn es darauf ankommt, nehmen sie ihr Schicksal in die Hand und wachsen über sich hinaus«. Deswegen habe er sich an jenem Morgen vor sieben Jahren auch zunächst darüber gewundert, dass ihn an seinem freien Tag ein Mitarbeiter wegen eines Wasserrohrbruchs im Hotel stört. »Boss, boss, a lot of water«, habe der ganz aufgeregt ins Telefon geschrien. »Erst die Panik in seiner Stimme machte mir klar, dass es etwas anderes sein musste«. Er habe sich dann sofort ins Auto gesetzt, um ins Hotel zu fahren. »Normalerweise brauche ich für die Strecke 20 Minuten, diesmal dauerte es Stunden«, erinnert sich Meusburger. »Auch wenn es etwas sarkastisch klingt, wir hatten im Gegensatz zu vielen anderen Strandhotels Glück! Neben den materiellen Schäden mussten wir nur vier Tote beklagen. Im Hotel selbst ging nichts mehr, wir waren, wie alle anderen auch, von der Welt abgeschnitten - kein Telefon, kein Strom. Niemand wusste, was er tun soll, unsere Mitarbeiter waren genau so panisch wie die Urlauber.«

Die materiellen Schäden zu beseitigen sei die eine Seite gewesen, vor allem aber habe man schnell begriffen, dass viele Menschen noch leben könnten, wenn man die deutlichen Vorzeichen für die Katastrophe rechtzeitig erkannt hätte, so der Hotelier. Heute gibt es im Holiday Inn wie in anderen Hotels einen Tsunami-Evakuierungsplan. »Zweimal jährlich testen wir ihn mit den Mitarbeitern. Das soll keine Panikmache sein, doch jeder muss wissen, was im Notfall zu tun ist.«

Auch die Reiseveranstalter haben aus der Katastrophe gelernt. TUI beispielsweise hat gemeinsam mit Tsunami-Experten des Geoforschungszentrums Potsdam ein detailliertes Merkblatt für Hoteliers erarbeitet, das über erkennbare Vorboten solcher Naturkatastrophen informiert und darüber, wie man sich dann zu verhalten hat. »Thailand ist mit mehr als 75 000 Kunden unser wichtigstes Reiseziel in Asien, Khao Lak mit seinen seit 2005 neuen und wiedererstandenen Hotels gehört heute zu den beliebtesten Ferienorten«, sagt Unternehmenssprecher Mario Köpers. Vor sieben Jahren noch habe er sich das beim besten Willen nicht vorstellen können, Khao Lak war eine Geisterzone. Der »Spiegel« schrieb damals angesichts der unvorstellbaren Zerstörungen und der vielen Toten, insbesondere auch aus Deutschland: »Khao Lak ist so etwas wie der Ground Zero der Bundesrepublik inmitten dieses Katastrophengebietes der ganzen Welt.«

Weihnachten 2004 verbrachte der Geologe Harald Spahn Tausende Kilometer entfernt von Thailland auf den Kanaren. »Tsunamis sind für mich nichts Besonderes, sie bestimmen meinen Job«, erzählt er. »Doch selbst für mich war ein solches Ausmaß unvorstellbar und kam völlig überraschend. Damals ahnte ich nicht, dass dieser Tsunami mein ganzes Leben ändern würde.« 2006 ging er im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Berater zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems nach Indonesien. Seinen Arbeitsplatz hat er seitdem in Jakarta, in Khao Lak macht er sich ein Bild von der technischen und baulichen Seite des Alarmsystems. »Da hat sich wirklich viel getan«, stellt er fest, »überall entlang der Küste gibt es heute Alarmanlagen und wurden erhöht stehende Rettungstürme erbaut, wohin sich die Menschen im Ernstfall in Sicherheit bringen können. Doch nicht die Technik, der Mensch steht im Mittelpunkt der Frühwarnung. Denn was nutzt es, wenn die Zeichen nicht erkannt oder einfach ignoriert werden.« Das betreffe weniger die Einheimischen, die seit 2004 sehr sensibilisiert seien für drohende Gefahren, doch Touristen seien sich der Gefahren oftmals gar nicht bewusst. Spahn erzählt von einem Erdbeben der Stufe 6,8 Mitte Oktober auf Bali. »Was wir da gesehen haben, hat uns schockiert. Drei auf den Strand gerichtete Kameras zeichneten das Beben auf. Alles wackelte, und doch ging der Badebetrieb weiter, als ob nichts wäre. Es ist schon erstaunlich, wie leichtsinnig viele sind, manchmal könnte man denken, sie haben die Katastrophe schon vergessen.«

Nicht so die Angehörigen und Freunde jener Menschen, die am 26. Dezember 2004 ihr Leben verloren. Auch an diesem 2. Weihnachtsfeiertag werden wieder viele am Strand von Baan Nam Khem am Tsunami Memorial sein, das vor sechs Jahren maßgeblich mit deutscher Hilfe zur Erinnerung an die 4000 Toten auf Khao Lak errichtet wurde. Rund 150 Tafeln mit Namen wurden in die wellenförmige Mauer eingelassen. Wie in jedem Jahr werden Angehörige Tausende Laternen in den Himmel steigen lassen und an ihre Liebsten denken, die das Meer ihnen nahm. Nur wenige Meter entfernt fanden 300 Menschen auf einem kleinen Friedhof ihre letzte Ruhe. Sie konnten bislang noch immer nicht identifiziert werden.

Am Strand vom Hotel Mariott erinnert nichts mehr an die Flutwelle.
Am Strand vom Hotel Mariott erinnert nichts mehr an die Flutwelle.
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