»... dann kommen die Polen dran«

Von 1947 bis 1994 saßen 230 Ex-Nazis im niedersächsischen Landtag

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 2 Min.
Braune Schatten im ParlamentAls erstes Bundesland: Niedersachsen ließ eine Studie zur NS-Vergangenheit der Abgeordneten erstellen.

Insgesamt 233 Abgeordnete mit nationalsozialistischer Vergangenheit saßen in den zwölf Legislaturperioden von 1947 bis 1994 im niedersächsischen Landtag. Dies ergab eine Studie, die Parlamentspräsident Hermann Dinkla (CDU) jetzt vorstellte.

Der Impuls zu der Untersuchung, die erste ihrer Art in der Bundesrepublik, war von der Linksfraktion ausgegangen. Sie hatte 2008 eine Broschüre mit dem Titel »Braune Wurzeln« veröffentlicht. In ihr erinnert der Historiker Hans-Peter Klausch an teils hochrangige Nazi-Funktionäre, die sich in den Landtag wählen ließen. Wie sehr sich einige von ihnen expioniert hatten, zeigt Klausch auf, indem er etwa aus einem 1940 in Lodz verfassten Schreiben des späteren CDU-MdL Otto von Fricke zitiert: »Mit der Evakuierung geht es dort sehr gut vorwärts. Bis zum 12. Februar wird mit der Heraussetzung der Juden Schluss sein, dann kommen die Polen an die Reihe.«

Die Linksfraktion beließ es nicht dabei, sondern beantragte im Landtag, dieser möge selbst eine Dokumentation veranlassen. Zu diesem Wunsch beigetragen hatte eine Äußerung des damaligen Geschäftsführers der CDU-Fraktion, Bernd Althusmann, heute Kultusminister. 2008 hatte er erklärt: »Die CDU hat ihre geistigen und politischen Wurzeln im christlich motivierten Widerstand gegen den Terror des Nationalsozialismus. Das ist die Wahrheit.« Da ist es auch nicht verwunderlich, dass im biografischen Lexikon des Landtages bei keinem der betreffenden Abgeordneten ein Hinweis auf die Vergangenheit stand.

Ende 2008 stimmten alle Fraktionen dem Vorschlag des Landtagspräsidenten zu, die »Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen« mit einer Untersuchung zu beauftragen. Überprüft haben die Wissenschaftler 755 Biografien. Unter denjenigen Abgeordneten, die in der 211 Seiten langen Studie namentlich erwähnt sind, ist auch der erste Ministerpräsident Niedersachsens, Hinrich Wilhelm Kopf (SPD). Er war in Lublin in leitender Funktion an der Enteignung und Aussiedlung der polnischen Bevölkerung beteiligt.

Ehemalige Nazi-Parteigänger finden sich im gesamten politische Spektrum. Von 1955 bis 1961 gab es die meisten Volksvertreter mit »braunem Schatten« - 61 an der Zahl, 30 gehörten zur DP (Deutsche Partei)/CDU-Fraktion, sechs zur SPD. vier zur FDP. Der BHE, Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, hatte 15 ehemalige NSDAP-Mitglieder unter seinen Parlamentariern, die rechtsextreme »Deutsche Reichspartei« sechs. Die NPD war nur von 1967 bis 1970 in Landtag vertreten. Von ihren zehn Abgeordneten hatten sechs eine belegbare Nazi-Vergangenheit. Noch in in der Legislaturperiode von 1990 bis 1994 gab es fünf Abgeordnete, die früher der NSDAP angehörten - vier in der CDU-, einer in der FDP-Fraktion.

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