Unter drei - plus eins

Nicht einmal Lafontaine scheint vor Nachstellungen sicher

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Bundestag steht heute in einer Aktuellen Stunde die Überwachung der Linkspartei und die Beobachtung von Abgeordneten ihrer Fraktionen durch Geheimdienste im Mittelpunkt. Seit Wochenbeginn verteidigt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Ausforschung. Er sieht in der Debatte eine »künstlich erzeugte Aufregung«.

Der Ausdruck »Unter drei« bedeutet, dass eine Aussage gegenüber einem Journalisten nur als Hintergrundinformation verwendet werden darf. Die Information und deren Urheber müssen vertraulich behandelt werden.

Nun gehören ja die meisten politischen Journalisten nicht zum »Stamm der Ängstlichen«. Doch wie steht es um die Vertraulichkeit, die MdB X und Medienmann Y vereinbart haben, wenn zumindest einer im Fokus eines Nachrichtendienstes steht? Unter drei plus eins? Da hilft es ja nicht einmal - was im Zeitalter der Funkzellenabfrage immer häufiger geraten ist -, das Handy daheim zu lassen.

Die LINKE - und vielleicht nicht nur die - sieht hier eine Einschränkung ihres gesetzlich verbrieften Handlungsspielraums. Doch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) versteht die »künstlich erzeugte Aufregung« nicht. Rechtlich sei die Beobachtung von Abgeordneten durch Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts gedeckt. Und schon bevor es die gab, stand die Bundesregierung - so nachweislich bereits im Jahr 2007 - auf dem Standpunkt, dass die Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) »grundsätzlich auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln zulässig« sei. Im September 2006 hieß es, dass Informationen über Abgeordnete im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zur Linksfraktion in einer Sachakte enthalten sind. Diese gehe jedoch nicht über die Angaben zu ihrer Person im »Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages« hinaus. Da unter den damals Betroffenen auch Parlamentarier sind, die zu den 27 gehören, deren umfangreichere Überwachung nun offenkundig geworden ist, kann die damalige Regierungsaussage nur eine Lüge gewesen sein.

Der Bundesinnenminister sagt, dass das ihm unterstehende Bundesamt für Verfassungsschutz keine nachrichtendienstlichen Mittel bei der Beobachtung von Linksabgeordneten einsetzt. Nur durch Auswertung von Reden und öffentlich zugänglichen Schriften beobachte man die Arbeit von Linksabgeordneten. Also: nicht observieren, nicht abhören? Denkbar, denn dafür müsste der Minister, nicht etwa der Präsident des Amtes, extra grünes Licht geben. Welcher Minister möchte sich bei so einer Operation erwischen lassen?!

Wie kommt es dann, dass sich in Akten durchaus »mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen« befinden, wie die Regierung im Jahr 2009 einschränkte? Wie kann es sein, dass der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Peter Wargel, am Mittwoch plötzlich von der Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel in sieben Ländern spricht?

Das hat mit einer erprobten Arbeitsteilung zu tun. Man lässt die Landesämter für Verfassungsschutz von der Kette. Die beobachten nicht nur »ihre« LINKEN, sondern leisten auch Zuarbeit für den Bund. Bisweilen tauchten auch schon mal andere Neugierige wie der Militärische Abschirmdienst (MAD) im Interessentenfeld auf.

Im Zuge der jüngsten BfV-Affäre kam heraus, dass nicht nur 27 namentlich aufgeführte Bundestagsabgeordnete, sondern auch elf - nicht namentlich bezeichnete - Linksabgeordnete aus Landesparlamenten beschnüffelt werden. Zumindest aus Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dürften die nicht stammen, dort werden LINKE-Mandatsträger nicht beobachtet.

Anders in Niedersachsen. Wie Verfassungsschutzchef Wargel soeben bestätigte, werden dort auch geheimdienstliche Mittel eingesetzt. Schließlich gilt die LINKE für Wargel in bestimmten Teilen als verfassungsfeindlich. Gleiches hört man aus Bayern, auch unter der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg geht die geheimdienstliche Kontrolle der Linkspartei weiter. Hinzu kommen möglicherweise Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz, das lesen Experten zumindest aus den Jahresberichten der Ämter. Und wie läuft das im Saarland, wo man sich gerade auf Neuwahlen vorbereitet? Bereits 2006 - ein Jahr vor der Vereinigung von PDS und WASG zur LINKEN - meldete das Magazin »Focus«, Oskar Lafontaine stehe unter Beobachtung des saarländischen Verfassungsschutzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz speicherte den Ex-Ministerpräsidenten im bundesweiten Nachrichtendienstlichen Infosystem.

Dass Bodo Ramelow, einst Bundestagsabgeordneter und nun Linksfraktionschef in Thüringen, vom Verfassungsschutz überwacht wurde und vermutlich weiter wird, dürfte bewiesen sein, seitdem sich 2006 einer der Überwacher gegenüber dem Überwachten dekonspiriert hat. Auch die zahlreichen Schwärzungen in bislang zugänglichen Abgeordnetenakten des Verfassungsschutzes deuten darauf hin, dass Landesämter die Vorfeldaufklärung übernehmen. Denn unter den per Filzstift getilgten Stellen befinden sich Verteiler, Signaturen, Gesprächsnotizen und ähnliche verräterische Hinweise, die auf ein dicht gewebtes Netz von geheimdienstlichen Beobachtern und Zuträgern schließen lassen.

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