Pflege fühlt sich verschaukelt

Beschäftigte der Branche fordern Politik zum Handeln auf

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Der heute in Berlin beginnende zweitägige Kongress Pflege 2012 hat die gleichen Probleme zu diskutieren wie die Vorgängerveranstaltung Anfang 2011. Trotz vollmundiger Ankündigungen passierte in der Politik kaum etwas.

Das Jahr der Pflege 2011 war ein Flop, wie der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, auf einer Pressekonferenz gestern noch einmal betonte. Nach vielen Terminverschiebungen wurde ihm im Dezember aus dem Gesundheitsministerium eine Einladung für die erste Januarwoche zur Diskussion des neuen Pflegebegriffs angekündigt. Die kam bis heute nicht.

Um so entschiedener sprach sich Westerfellhaus dafür aus, 2012 zu einem Jahr der Pflegenden zu machen. Die Berufsgruppe fühle sich verschaukelt, nicht nur bei der Festlegung eines neuen Pflegebegriffs. Auch das laut Koalitionsvertrag versprochene Berufsgesetz steht noch auch. Darin sollten endlich die Zuständigkeiten der Pflegekräfte festgelegt werden, in Abgrenzung gegenüber denen der Ärzte. Schon länger übernehmen Krankenschwestern im Auftrag von Ärzten bestimmte Aufgaben in Diagnostik und Therapie. In vielen Bereichen ist diese Arbeitsteilung bewährt, aber rechtlich findet sie noch immer in einer Grauzone statt. Unterstützt wurde die Forderung nach dieser Klärung von Max Kaplan, dem Vizepräsidenten der Bundesärztekammer. Der Hausarzt aus Bayern nennt mehrere Bereiche, in denen Mediziner durch entsprechend gut ausgebildete Pflegekräfte entlastet werden könnten, so in der standardisierten Anamnese bei der Aufnahme, bei diagnostischen Maßnahmen wie Labor, Röntgen und EKG oder bei organspezifischen Sonographien. Widerspruch meldete hier Willi Zylajew an. Er ist Pflegeberichterstatter der Bundestagsfraktion von CDU/CSU und kennt die Branche sehr gut. Die Ärzteverbände hätten bisher weder Verantwortung noch Aufgaben an Pflegekräfte verlagern wollen, Einkommen schon gar nicht, merkte er an.

In den Krankenhäusern ist eine Konkurrenzsituation zwischen den Berufsgruppen entstanden. So wurde dort seit 2008 jede siebente Pflegestelle gestrichen. Teilweise wurde das mit erhöhten Ärztegehältern bzw. der Schaffung von mehr Stellen für diese begründet. Andreas Westerfellhaus fordert nun, dass sich die Beschäftigten in den Kliniken nicht auseinander dividieren lassen dürften. Es müsse für alle Gruppen eine auskömmliche tarifliche Entwicklung möglich sein. Angesichts der Deckelung der Krankenhauskosten liebäugelten die Träger der Häuser jetzt erneut damit, wachsende Ausgaben auf Kosten der Pflege zu kompensieren. Das sei nicht möglich, ansonsten würden sich etwa die hygienischen Zustände verschlechtern. Besorgniserregend seien die Personalschlüssel in vielen Bereichen schon heute: So ist in den oft als vorbildlich hingestellten Niederlanden auf den Intensivstationen eine Pflegekraft für einen Patienten zuständig, in Deutschland hat sie für vier Schwerkranke zu sorgen.

Dennoch ist unter den Experten strittig, ob es tatsächlich einen Fachkräftemangel in der Pflege gibt. Der CDU-Politik Willi Zylajew führt ausgebuchte Pflegeschulen und starke Nachfrage nach den Ausbildungsplätzen an. Thomas Ballast vom Verband der Ersatzkassen (vdek) sieht derzeit nur punktuell Engpässe und verweist auf steigende Beschäftigungszahlen in der Pflege. Überlastete ambulante Pflegedienste oder Pflegehilfskräfte, die in den Aufwachräumen von Intensivstationen eingesetzt werden sowie schlecht bezahltes und ebenfalls vollkommen überarbeitetes Personal in so manchem Pflegeheim stehen auf der anderen Seite.

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