»Die Besuchersessel atmen aus«

Thomas Spaniel legt in seinem neuen Gedichtband jedes Wort auf die Goldwaage

  • Kai Agthe
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Tag endet, das Gedicht »büroschluß« aber beginnt: »die verlassenen / besuchersessel atmen aus / im terminkalender / wimmeln kandidaten / das telefon schläft«. Es ist der letzte Text in dem neuen Gedichtband von Thomas Spaniel. Er beschreibt jenen Moment, den der Autor, als Rechtsanwalt in Nordhausen tätig, jeden Tag aufs Neue erlebt. Am Anfang des sehr dezent gestalteten Buches steht das Gedicht »handschrift«. Diese wird humorvoll als das »zusammentreffen / von buchstabe und zittern / der hand mit den worten« definiert.

Beim ersten und letzten Gedicht zeigt sich exemplarisch: Kurz und bündig ist sie, Thomas Spaniels Lyrik. Hier wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Schlanke, ranke Gedichte, die mal aus einer, mal aus mehreren Strophen gebildet werden und vor allem freirhythmisch sind, sind das Markenzeichen dieses ebenso genauen wie sensiblen Beobachters, der 1988 mit der Sammlung »Spiegelgärten« debütierte und nun seinen bereits fünften Gedichtband vorlegt.

Um es nicht den Rezensenten zu überlassen, nennt der Autor seine Texte selbst hermetisch, obwohl sie nicht wirklich undurchdringlich sind. Denn selbst ein Gebilde wie »hermetisches gedicht«, das fraglos eine surreale Komposition ist, bietet zahlreiche Deutungsangebote.

Im Band finden sich, das ist neu, nicht wenige Porträtgedichte auf Orte, Landschaften und Persönlichkeiten: Weimar, Schwerin, der Fluss Scherkonde und das Dorf Gumperda werden Gedicht, und Musiker wie Ketil Bjørnstad und Nils Petter Molvær werden in Versen gefeiert. Apropos: Nach einem Lieblingsgedicht gefragt, würde ich »Bjørnstad in nordhausen« nennen. Ein einstrophiges Gedicht, in dem es Thomas Spaniel auf wunderbare Weise gelingt, ein Konzert des norwegischen Jazzpianisten Ketil Bjørnstad - der auch Schriftsteller ist und zahlreiche Romane veröffentlicht hat - ins lyrische Wort zu fügen.

Der skurrile Titel des Bandes stammt übrigens aus dem Gedicht »infrastruktur«, das so kurz ist, um hier zuletzt und in Gänze zitiert werden zu können: »das fragezeichen / in der obhut / des ordnungsamtes // die irren kurse / einer sterbenden fliege // reste einer spur / zu mir«.

Thomas Spaniel: die irren kurse einer sterbenden fliege. Gedichte. Udo Degener Verlag. 95 S., geb., 13,80 €.

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