Schuldenschnitt mit Konjunktiven

Die Beteiligung der griechischen Gläubiger bleibt vorerst offen

Die Euro-Finanzminister haben in einer Marathonsitzung in der Nacht zu Dienstag das zweite Rettungspaket für Griechenland beschlossen. Es sieht neue Kredite, einen Schuldenschnitt und verschärfte Kontrollen der harten Sparmaßnahmen durch die Geldgeber-Troika vor. Das Verschuldungsproblem wird nicht gelöst, und der massive Widerstand der Bevölkerung wird anhalten.

Wieder einmal traten wichtige EU-Politiker in Brüssel nach durchverhandelter Nacht müde vor die Kamera, um sich auf die Schultern zu klopfen: »Ich glaube, dass wir das insgesamt gut zustande gebracht haben«, meinte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Und der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, sprach gar von einer »sehr guten Einigung«. Zuvor hatten sich die Verhandlungen mit den Bankenvertretern über viele Stunden hingezogen, während die griechische Regierung alle Vorgaben trotz massiven Widerstands in der Bevölkerung längst erfüllt hatte.

Allerdings weiß Europas Finanzpolitikelite sehr wohl, dass der beschlossene Mix aus neuen Krediten und freiwilligem Schuldenverzicht, mit dem Griechenlands Staatsschulden bis zum Jahr 2020 von derzeit rund 170 auf 120,5 Prozent der Wirtschaftsleistung reduziert werden sollen, mit Unwägbarkeiten behaftet ist. Vor allem in Sachen Schuldenschnitt prägen Konjunktive das Bild. So lässt sich noch nicht sagen, wie viele der privaten Gläubiger - also Banken, Versicherungen, Fonds, Pensionskassen und Einzelanleger - am Schuldenschnitt teilnehmen, der mit 53,5 Prozent oder 107 Milliarden Euro nun etwas höher ausfallen soll als ursprünglich geplant. Eventuell noch heute will die griechische Regierung den Gläubigern das Angebot unterbreiten, ihre alten Staatsanleihen in neue Papiere mit entsprechend niedrigerem Nennwert, niedrigeren Zinsen und 30 Jahren Laufzeit umzutauschen. Der Köder besteht in Garantien der EU-Staaten im Umfang von 30 Milliarden Euro für diese neuen Anleihen. Allgemein erwartet wird auch deshalb, dass sich die meisten privaten Gläubiger beteiligen werden, da die Alternative ein Staatsbankrott mit einer längeren Hängepartie und schwer kalkulierbaren Folgen wäre.

Die Zeit wird knapp. Bis 9. März sollen die einzelnen Gläubiger erklären, ob sie das Umtauschangebot annehmen. Drei Tage dauert dann der Umtausch. Am 20. März muss Griechenland 14,5 Milliarden Euro Schulden tilgen - das Land hat das Geld dafür nicht.

Selbst wenn alle privaten Gläubiger mitmachen, würde sich die gesamte griechische Staatsschuld aber nur um ein gutes Viertel reduzieren. Beinahe die Hälfte ist nämlich ausgenommen - sie besteht aus Krediten der EU-Partner und des Internationalen Währungsfonds im Rahmen des ersten Hilfspaketes sowie aus Staatsanleihen, die die EZB auf dem sogenannten Sekundärmarkt gekauft hat. Die nationalen Notenbanken des Euro-Systems hatten Ende vergangener Woche ihre Papiere gegen identische Anleihen Griechenlands mit einer neuen Kennnummer umgetauscht. Dadurch sind sie vom jetzigen Schuldenschnittverfahren ausgenommen.

Dies sorgte nicht nur bei den Privatbankenvertretern für Unmut. Auch unter europäischen Staatenvertretern gab es Stimmen dafür, dass die öffentlichen Gläubiger ebenfalls auf Teile ihrer Forderungen verzichten sollten. Tatsächlich besteht dafür erheblicher Spielraum: Anders als es in der hiesigen Öffentlichkeit gerne dargestellt wird, ist Griechenland für die öffentlichen Gläubiger nicht etwa ein Milliardengrab, sondern bislang eine wahre Goldgrube. Man kassiert Jahr für Jahr Zinsen in Höhe von 5,1 Prozent für die bisherigen Kredite an Athen, und die EZB darf sich am Fälligkeitstermin der von ihr gehaltenen Anleihen auf einen gewaltigen Zusatzgewinn freuen: Im Schnitt hat die Zentralbank die an den Märkten stark im Kurs gefallenen Papiere für rund 70 Prozent ihres Nennwerts gekauft - Athen muss aber 100 Prozent zurückzahlen.

In den informellen Gremien, wo derzeit Politik in Euroland gemacht wird, wurde in den letzten Tagen über eine Beteiligung der öffentlichen Gläubiger debattiert, auch wenn dies offiziell nie bestätigt wurde. Tatsächlich werden die Zinsen der Kredite aus dem ersten Paket halbiert. Die EZB könnte nach Darstellung von Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker ihre Gewinne aus den Griechenland-Papieren an die nationalen Notenbanken ausschütten; die Staaten könnten das Geld dann einsetzen, um die Gesamtverschuldung Griechenlands zu senken - wenn sie es denn wollen.

Die Entwicklung der Schuldensituation in Athen hängt indes nicht nur an den vielen Konjunktiven beim Schuldenschnitt, sondern gerade auch an der Entwicklung der griechischen Wirtschaft. Wenn die Kürzungsmaßnahmen das Land dauerhaft in die Rezession stürzen und die EU nicht das immer mal angekündigte Investitionsprogramm auf den Weg bringt, ist eine Haushaltskonsolidierung schlicht unmöglich. Und auch auf der Einnahmenseite sind die Geldgeber erstaunlich tatenlos. So werden die reichen Griechen geschont - sie haben ihr Vermögen in die Schweiz geschafft oder investieren stark in Immobilien im Ausland, etwa im Berliner Raum. Wenn es mit der Vermögensbesteuerung nicht klappt, liegt es weniger an einer ineffizienten griechischen Steuerverwaltung als an der mangelnden Kooperation europäischer Länder.


Kredite und Kontrollen

Die Euro-Finanzminister haben das zweite Hilfspaket für Athen beschlossen. Die Eckpunkte:

Kredite: Die Euroländer stellen bis zu 100 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung, die in mehreren Tranchen bis 2014 ausgezahlt werden können. Die Zinsen sind relativ niedrig: Sie beginnen bei zwei Prozent und steigen erst nach 2020 auf 4,3 Prozent. Für die Kredite aus dem ersten Hilfspaket von 2010 werden die Zinsen halbiert. Der Internationale Währungsfonds will sich diesmal nur an dem Paket beteiligen, wenn der Euro-Krisenfonds ESM aufgestockt wird.

Garantien: Mit 30 Milliarden Euro sollen neue Anleihen privater Geldgeber abgesichert werden. Damit erhalten Banken, Versicherungen und Fonds einen Anreiz, sich am Schuldenschnitt zu beteiligen.

Schuldenschnitt: Die privaten Gläubiger verzichten auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen. Dadurch sollen die griechischen Staatsschulden von 350 Milliarden um 107 Milliarden Euro gedrückt werden. Ziel ist es, die Staatsverschuldung von heute 160 Prozent auf 120,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2020 zurückzufahren.

Bedingungen: Voraussetzung für Kredite sind umfangreiche Kürzungen von Löhnen, Renten, bei Arzneimitteln und Militärausgaben. Staatsvermögen und Staatsbetriebe sollen verkauft, 150 000 Beamtenstellen gestrichen werden. Anfang März prüft die Eurogruppe, ob die einzelnen Gesetze auf den Weg gebracht sind. Nur dann und wenn die die privaten Gläubiger auf die Schulden verzichten, gibt es Geld.

Kontrollen: Eine Task Force von EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank wird dauerhaft vor Ort überwachen, dass Griechenland alle Versprechen einhält. Mit einem Treuhandkonto wird sichergestellt, dass das Land als erstes Zinsen und Tilgungen begleicht und das Geld nicht für andere Dinge ausgibt. dpa/nd

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