Kurze Enttäuschung

Trotz des 1:2 gegen Frankreich glaubt die DFB-Elf weiter an den EM-Titel

Mats Hummels war durchaus gesprächsbereit. Nur noch einen Moment Ruhe wollte er haben. Auf den Monitoren in der Interviewzone des Bremer Weserstadions liefen am späten Mittwochabend gerade die Bilder des Länderspiels Polen gegen Portugal. Ist der 23-jährige Nationalverteidiger schon so fokussiert auf die kommende Europameisterschaft, dass er die Augen nicht vom Gruppengegner Portugal lassen konnte? »Nein, nein«, antwortete Hummels noch etwas abwesend. Er schaue nur nach seinen polnischen Vereinskollegen von Borussia Dortmund.

So ist das mit dieser jungen deutschen Nationalmannschaft: souverän und selbstbewusst, auch nach Niederlagen. Im ersten Länderspiel des Jahres hatte sie gegen Frankreich gerade mit 1:2 (0:1) verloren. Vor allem in der zweiten Halbzeit war der Auftritt genau das Gegenteil des von Bundestrainer Joachim Löw geforderten Stils: viel zu wenig Bewegung, langsamer Spielaufbau, schwaches Passspiel, kein geschlossenes Pressing und dadurch zu viel Zeit und Raum für den Gegner.

Hinzu kamen viele individuelle Fehler wie beim 0:1 nach 21 Minuten. Nach zwei einfachen Pässen durch die offene Mitte gelangte der Ball zu Mathieu Debuchy, der Linksverteidiger Dennis Aogo mühelos düpierte und Olivier Giroud im Strafraum perfekt bediente. Ein Stellungsfehler der deutschen Innenverteidigung ließ den Stürmer frei vor Torwart Tim Wiese auftauchen - er musste nur noch seinen treffsicheren Fuß hinhalten. Gleiches beim 0:2. Nach 69 Minuten kamen die Franzosen erneut zu locker über Aogos linke Seite durch, Pass ins Sturmzentrum, Verwirrung in der Abwehrzentrale, Tor durch Florent Malouda.

Mats Hummels nahm es gelassen. Verloren? »Schon etwas ärgerlich, aber auch nicht ganz so wichtig.« In der Innenverteidigung überfordert? »In Testspielen ist es normal, dass die Abwehrarbeit des gesamten Teams etwas lockerer ist, deshalb geraten wir manchmal etwas mehr unter Druck.« Warum? »Weil es für die Offensivspieler auch sehr anstrengend ist, immer mit nach hinten zu arbeiten.« Und sowieso seien zu diesem Zeitpunkt der Saison die meisten Spieler mit ihren Gedanken mehr bei ihren Vereinen.

Die laxe Einstellung quittierten viele der 37 800 Zuschauer in der letzten Viertelstunde mit Pfiffen, die mit dem späten Anschlusstreffer durch den eingewechselten Cacau (90.) jedoch jäh verstummten. Ähnlich fand auch Hummels nach einer »kurzen Enttäuschung in der Kabine« schnell sein Lächeln wieder. Optimismus und Überzeugung hatte er sowieso nie verloren: »Wir wissen, dass wir gut sind und wollen den EM-Titel.«

Man mag es ihm glauben. Gegen nur streckenweise überzeugende Franzosen erspielte sich die DFB-Elf in der ersten Halbzeit genug Chancen. Allein der Abschluss durch Marco Reus (19.), Miroslav Klose (32./33./41.) oder Holger Badstuber (34.) blieb mangelhaft. Im Mittelfeld glänzte Mesut Özil. Der Spielmacher von Real Madrid war der Beste auf dem Bremer Rasen. Doch eine alte Sorge bleibt. Nach der Auswechslung von Stürmer Miroslav Klose zur Halbzeit erlag das offensive Kombinationsspiel komplett. Trotz seiner beachtlichen Torquote beim FC Bayern wirkte Mario Gomez erneut wie ein Fremdkörper im Löwschen System. Auch ein anderer Angreifer ist nicht in Sicht, der den Anforderungen halbwegs gerecht werden könnte. Dieser Frage wich Hummels gewandt aus.

Deutschland: Wiese - Boateng, Hummels, Badstuber (46. Höwedes), Aogo - Khedira (70. Lars Bender), Kroos - Reus (70. Cacau), Özil, Schürrle (45. Müller) - Klose (46. Gomez).

Frankreich: Lloris - Debuchy, Mexès, Rami, Abidal - Cabaye (62. Malouda), M'Vila (62. Alou Diarra) - Valbuena (68. Amalfitano), Nasri, Ribéry (46. Menez) - Giroud (76. Saha).

Tore: 0:1 Giroud (21.), 0:2 Malouda (69.), 1:2 Cacau (90.+1).

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