Kolumne: Extrarunde
Hörspiel
Stille. Perfekte Stille. Die Ohren hatten sich über viele Stunden an ein Gewirr aus Hintergrundmusik, Gemurmel und Geschrei gewöhnt. Jetzt wirken sie komplett taub, als wäre ihnen der größte Kopfhörer der Welt übergestülpt worden. Es ist diese Stille, die Gänsehaut verursacht, nicht der Lärm der ihr gleich folgen wird. 28 000 Menschen schauen Magdalena Neuner zu, wie sie ihr Ziel anvisiert. Niemand wagt, sich auch nur zu räuspern. Es könnte ihre Hoffnungsträgerin stören. Jeder will gleich »Hey« schreien. Das ist der Inbegriff von Druck.
Schuss. Treffer. Die kleine Scheibe wird weiß.
Lärm. Markerschütternder Lärm. Die Ohren explodieren fast, als wäre man von einer Sekunde auf die andere aus dem Tiefschlaf gerissen und in ein Heavy-Metal-Konzert gezerrt worden. Dieser Erlösungsschrei setzt sich kilometerweit bis zu den Fans am Ende der Strecke tief im Wald fort, und doch ist dieses Echo auch im Stadion noch zu hören. Eine Sekunde lang. Dann ist sie wieder da, diese perfekte Stille.
Schuss. Treffer. Weiß.
Noch achtmal wiederholt sich dieses Schauspiel im Sprintrennen der WM. Selbst dem Reporter wackeln jedes Mal die Knie. Nur Neuner ist unbeeindruckt, obwohl alle nur auf sie schauen. »Ich war völlig gelassen und konzentriert, überhaupt nicht nervös«, sagt sie. »Ich hatte keine Gänsehaut. Die kam erst im Ziel, als alle ›Lena, Lena!‹ riefen.«
Das Besondere an Neuner ist nicht ihre Schnelligkeit, ihr ewiges Lachen oder ihr Mut, die »BILD«-Zeitung für eine reißerische Schlagzeile auf einer Pressekonferenz zu kritisieren. Es ist die Fähigkeit, das perfekte Rennen im perfekten Moment abzuliefern. Immer wieder. Egal, wie viele Leute ihr dabei zuschauen.
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