Schönes Gewusel

Hanoi - eine Metropole

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 2 Min.
Straßenhandel
Straßenhandel

Dem Besucher erscheint Hanoi chaotisch, laut und als ein Nebeneinander von Ungleichzeitigkeiten. Wenn man sich etwa durch ein Gewusel von Motorrädern und Autos hindurchgezwängt hat, steht man vor einem stinkenden See, der als Müllhalde dient. Daneben wachen Hotelboys in schicken Uniformen, dass kein Unbefugter in das Etablissement der Luxusklasse eindringt, dessen Garten und Empfangshalle an einen Palast erinnern, in dem es der Oberschicht und ausländischen Geschäftsleuten an nichts fehlt.

Heinz Schütte, ein in Paris lebender deutscher Historiker, der gut mit der vietnamesischen Geschichte vertraut ist, beschreibt die Gegensätze in der vietnamesischen Hauptstadt, die keineswegs zufällig oder chaotisch sind. Er vergleicht den Wandel, den Hanoi seit den 1990er Jahren erfährt, mit dem europäischer Städte im 19. Jahrhundert infolge der Industriealisierung und bürgerlichen Revolution. Dabei spart Schütte nicht an Theoriemodellen, die manchmal sperrig erscheinen und das Lesen erschweren. Er findet aber andererseits auch schöne historische Vergleiche. Etwa den vom »Bürgersteig«.

In Europa war dieser vom Schmutz der Straße erhöhte befestigte Weg eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, denjenigen vorbehalten, die die Zeit und die Mittel hatten zum Flanieren und Konsumieren. In Hanoi ist der viel zu schmale Bürgersteig noch multifunktional. Im Verschwinden begriffen ist jedoch seine Funktion als Produktionsstätte kleiner familiärer Handwerksbetriebe, die der erdrückenden Enge der winzigen Häuser ausweichen. Noch anzutreffen ist er als Ort für Bauern und Handwerker, die hier als fliegende Händler Ware anbieten. Von der Administration wird das zunehmend unterbunden, weil dies ihrer Ansicht nach nicht mehr dem Bild einer modernen, repräsentativen Stadt entspricht. Sie versucht auch gegen das Zuparken der Bürgersteige mit Motorrädern entgegenzuwirken, oft vergeblich.

Hanois Entwicklung zu einer modernen Großstadt erzählt Schütte anhand der Architektur und der Menschen, die diesen Wandel ermöglichten. Hier merkt man einerseits den Historiker, der gründlich recherchierte, andererseits aber auch den Stilisten. Unter den vielen Geschichten findet sich auch die vom Deutschland-Rückkehrer, der den Döner als »deutsche« Esskultur nach Hanoi brachte, ihn zuerst vor dem Goethe-Institut verkaufte und inzwischen zu einem reichen Geschäftsmann geworden ist, der seinen Reichtum stolz offenbart.

Heinz Schütte: Hanoi, eine nachsozialistische Moderne. Regiospectra Verlag, Berlin 2011. 275 S., geb., 29,90 €.

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