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In kino veritas

Filmproduktion und -politik in der DDR aus der Sicht eines Ex-Ministers - Horst Pehnert

  • Klaus Höpcke
  • Lesedauer: 4 Min.

In kino veritas. Diesen Geistesblitz in der Mitte seines Buches über Filmproduktion und Filmpolitik in der DDR, so Autor Horst Pehnert, sei Wolfgang Kohlhaase zu verdanken. Der hatte mit diesen Worten 1980 seine Laudatio auf die Preisträger des ersten Nationalen Spielfilmfestivals in Karl-Marx-Stadt beendet.

In kino veritas - das sollte nicht heißen, die Wahrheit sei das Bestimmende schon in dem, was in den Kinos gezeigt wird. Nein, die Kohlhaase'sche Wendung besagte vielmehr: So möge es sein. So soll es werden. Darum müsse und wolle man sich bemühen. Die Wahrheit kräftiger in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit ins Bild zu setzen, darum hatte es zu gehen.

Das war Horst Pehnerts Arbeit von Ende 1976 bis zum Frühjahr 1990, dreizehn Jahre lang, als der für das Filmwesen zuständige Stellvertreter des Ministers für Kultur der DDR. In seinem Buch beschreibt er Aufstiegsfreuden wie Niedergangsärger. Dem wohl schlimmsten und folgenreichsten Niedergangspunkt, dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 mit Filmverboten bis hinein in das Jahr 1966 (»Spur der Steine«), Absetzung des Kulturministers, des Leiters der HV Film, des Studiodirektors und des Chefdramaturgen der DEFA - mit Recht als »Kahlschlag-Plenum« berüchtigt - stellt Pehnert als Lehre gegenüber: Wer glaube, gesellschaftliche Widersprüche vor dem Volk verstecken zu können und das auch von der Kunst erwarte, komme damit auf die Dauer nicht durch.

Kurz nachdem Pehnert seine ministerielle Tätigkeit begonnen hatte, tagte - im Frühjahr 1977 - der III. Kongress des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden. »In einer stürmisch geführten Debatte«, stellt Pehnert fest, »entlud sich eine selbstkritische Unzufriedenheit über den mangelnden Wirklichkeitsbezug der Filme und über den Mangel an Wirkung im Kino.« Konrad Wolf berichtete in der Diskussion: »Ich habe noch nie Einheit, Wechselwirkung, dialektischen Widerspruch zwischen der Gestaltung des Vergangenen und des Heutigen so glücklich und schmerzvoll zugleich empfunden wie in den Wochen, als ›Mama, ich lebe‹ auf die Leinwand kam.« Jugendliche hätten ihn in Zuschauergesprächen unnachgiebig mit der Forderung konfrontiert: »Wir lehnen einen noch so überzeugenden, d.h. wahrhaftigen Film über das Vergangene ab, wenn das Heutige nicht ebenso der Wahrheit verpflichtet ist und mit Liebe zum Menschen meisterlich gestaltet wird.« Erfahrungen und Forderungen wie diese lieferten den Ansporn für »In kino veritas« als Arbeitsmotto.

Gab es während der 70er Jahre ein, wie Pehnert es nennt, »vereinzeltes Aufleuchten auf der Leinwand«, hätten sich ab 1978 »Ruf und Resonanz der DEFA im In- und Ausland zusehends erneuert«. Der Autor bringt zur Sprache, dass und wie die von ihm zu leitende Filmentwicklung auch während der 80er Jahre von Angriffen und Eingriffen beeinträchtigt wurde. Betroffen war davon zum Beispiel Herrmann Zschoches »Insel der Schwäne«, zu dem Ulrich Plenzdorf das Szenarium nach dem Roman von Benno Pludra geschrieben hatte. Dass Schwierigkeiten in einem unfertigen Neubaugebiet nicht vertuscht wurden, rief den heftigen Vorwurf hervor, wir hätten es mit einer »verstellten Sicht auf die Wirklichkeit« zu tun. Während der Film immerhin noch gezeigt wurde, kam es bei »Jadup und Boel« von Paul Kanut Schäfer und Rainer Simon zu einem Aufführungsverbot, das erst 1988 aufgehoben wurde.

Bewegend sind Pehnert die Porträtskizzen gelungen, in denen er über Meister des Metiers Film schreibt: woher sie kamen, was sie geleistet haben, in welchem Verhältnis er zu ihnen stand: Kurt Maetzig, der Regisseur, Karl Gass, der Dokumentarist, Wolfgang Kohlhaase, der Autor und Jochen Hoffmann, der Kulturminister. Über den sagt er: »So wie er sich auf seine Mitarbeiter verließ, konnten sich diese auf ihn verlassen.« Mit etwas knapper gehaltenen Notizen bedenkt er: H & S (Walter Heynowski und Gerhard Scheumann) und die Freunde Konrad Wolf, Erwin Geschonneck, Günther Rücker sowie Regieabsolventen der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen, die »die 49er« genannt wurden.

Schließlich noch etwas: Pehnert gewährt mit Proben Einblick in seinen mündlichen und schriftlichen Meinungsaustausch - kurze Texte, aber in jedem Fall erfreulich entschieden, sowohl im Bemühen um Verständnis als auch in der Polemik gegen Behauptungen, die er als falsch erkannte.

Horst Pehnert: Kino, Künstler und Konflikte. Filmproduktion und Filmpolitik in der DDR, Das Neue Berlin, 220 Seiten, brosch., 12,90 Euro.

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