Bundestag berät über Jugendstrafen

Fachleute lehnen längeren Freiheitsentzug ab

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Union und FDP wollen das Jugendstrafrecht verschärfen. Die öffentliche Debatte konzentriert sich bis jetzt auf die Einführung des sogenannten Warnschussarrests, der neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verhängt werden kann. Unterbelichtet ist hingegen ein weiterer Teil des Gesetzespakets, das heute erstmals im Bundestag beraten wird. So sollen Heranwachsende wegen Mordes künftig zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden können. Bislang ist die Höchststrafe für Straftäter zwischen 18 und 21 Jahren auf zehn Jahre begrenzt. Aus Sicht der Regierungsfraktionen ist das als Reaktion auf besonders schwere Schuld nicht ausreichend.

Die Pläne stehen im Widerspruch zu jahrelangen Erfahrungen aus der Praxis und wissenschaftlichen Studien, die die negativen Folgen von hohen Gefängnisstrafen belegen. »Im Strafvollzug sind die Möglichkeiten, Empathie und soziale Fähigkeiten zu fördern, sehr begrenzt«, erklärt Nadine Bals von der Deutschen Vereinigung der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ), dem größten Fachverband für Jugendstrafverfahren, gegenüber »nd«. Nach vier bis fünf Jahren würden die entsozialisierenden Wirkungen die resozialisierenden überwiegen, warnt sie. Nach Überzeugung der Fachleute tragen freiheitsentziehende Maßnahmen mehr zur Entstehung und Stabilisierung krimineller Karrieren bei, als zu ihrer Vermeidung. Juristenverbände lehnen Verschärfungen des Jugendstrafrechts deshalb in großer Mehrheit als unnötig und kontraproduktiv ab.

Der Wirksamkeitsnachweis der Sanktion beschäftigt Union und FDP jedoch wenig. Die Erhöhung des Strafmaßes soll vielmehr dem Rechtsempfinden der Bevölkerung genügen, die angeblich in bestimmten Fällen zehn Jahre Haft als zu milde empfindet. Der dem Jugendstrafrecht zugrunde liegende Erziehungsgedanke wird mit dieser Begründung genauso beiseite geschoben wie kriminologische und fachliche Bedenken. Sie müssten zuweilen »zurücktreten«, heißt es in dem Antrag. Jugendrechtsexpertin Bals widerspricht dieser Logik. »Es gibt so schreckliche Taten, für die kann es keinen Ausgleich durch die Höhe der Strafe geben.« Zumindest keinen »rechtsstaatlichen«, wie sie betont.

Dem Gesetzentwurf zufolge betrifft die geplante Änderung nur wenige Fälle. So seien seit 2008 zwischen 11 und 17 Jugendliche pro Jahr wegen Mordes verurteilt worden. Kritiker weisen darauf hin, dass weit mehr Jugendliche davon erfasst würden, weil niedrigere Strafen in Relation zur möglichen Höchststrafe festgelegt werden. Wird der Referenzpunkt angehoben, verschieben sich auch die Strafen im Bereich von fünf bis zehn Jahren nach oben. Auch die Koalition weiß um diese Kettenwirkung. Es sei nicht auszuschließen, »dass es in größerem Umfang zu einer gewissen Verschiebung hin zu längeren Strafen kommen könnte«, heißt es in dem Entwurf.

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