»Wir sprechen darüber«

MEDIENgedanken: Kampf gegen Zensur in Ungarn

  • Ursula Rütten
  • Lesedauer: 4 Min.

Im privaten ungarischen »Klubrádió« wird der Medienaufsichtsbehörde zufolge zu wenig musikalisch unterhalten, dagegen zu viel und wohl auch zu offen gesprochen. Der beliebte, einst landesweit ausstrahlende Radiosender will unabhängiger Informations- und Nachrichtensender sein und bleiben. Was wieder einmal sehr infrage steht.

Eine beflissene Empfangsdame hinter dem Tresen einer eleganten Portiersloge im Parterre kündet den ausländischen Gast und seine Dolmetscherin in der Chefetage an. Das Thema für den Besuch bei den ungarischen Kollegen versteht sich von selbst: Wie schafft der regierungskritische Sender sein Überleben? Abhängig von der Zuteilung von Frequenzen durch die quasi allmächtige staatliche Medienaufsichtsbehörde und in ständiger Hab-Acht-Stellung gegenüber dem neuen Mediengesetz. Und was ist das Besondere am »Klubrádió«, im Vergleich zum sogenannten öffentlich-rechtlichen Ungarischen Rundfunk, dem »Mágyar Rádió«?

Ein Mitarbeiter betritt das Foyer, geschätzt um die 60 Jahre. György Bolgár wird seine Live-Sendung vorbereiten, »Wir sprechen darüber«, in der sich Hörerinnen und Hörer telefonisch zum Tagesgeschehen zu Wort melden können. Jeden Tag ab 16 Uhr. Bolgár ist sozusagen eine Ikone des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Ungarn. Lange Jahre war er als Journalist und beliebter Moderator in der Führungsriege von »Mágyar Radio« tätig. Bis zu seiner Entlassung bald nach dem Wahlerfolg der rechtspopulistischen Fidesz-Partei und der Machtübernahme von Viktor Orbán. Was ihn im »Klubrádió« hat vorstellig werden lassen. Das gleiche Schicksal teilt ein Großteil der rund 40 journalistischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Senders. Chefredakteur Ferenc Vicsek wurde bereits von der ersten Entlassungswelle im »Magyár-Radio« nach dem Wahlerfolg von Viktor Orbán und dem Regierungswechsel betroffen. Damals, vor sieben, acht Jahren, war er u. a. Chefredakteur des Petöfi-Radios, also der Kulturwelle von »Mágyar Rádió« .

Der Direktor und Eigner des Senders, András Arató und sein Team haben nie einen Hehl um ihre zur Linken tendierende politische Ausrichtung und ihre offene Ablehnung aller Parteien im rechten, nationalistischen bis rechtsradikalen Spektrum gemacht. So wie die Verhältnisse in Ungarn sind, nämlich eigentlich immer parteipolitisch polarisiert, fällt es schwer, das »Klubrádió« an seinem selbst definierten Anspruch, unabhängig zu sein, zu messen. »In Ungarn herrscht ein anderes Verständnis von öffentlich-rechtlichen Medien, das sich sehr von dem in Deutschland unterscheidet. Auch in Bezug auf deren demokratische Qualität«, versucht Direktor Arató die spezifische Lage in seinem Land zu erläutern. »In Ungarn wurden die öffentlich-rechtlichen Medien während der letzten 20 Jahre immer vereinnahmt von den jeweils regierenden Parteien. Und ich muss hinzufügen, dass dies besonders gut den rechten gelang. Andersdenkende, links-liberale sind in der absoluten Minderheit. So etwas wie unser ›Klubrádió‹ als privater Informationssender mit vielen offenen Debatten über gesellschaftliche, politische und kulturelle Themen gibt es nicht noch einmal in ganz Ungarn.« Chefredakteur Ferenc Vicsek sekundiert: »Das größte Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ist der Realitätsverlust, den unsere Bevölkerung erleidet, die Verzerrung der Wirklichkeit durch diesen massiven Abbau an Demokratie und die Machtkonzentration mit Einflussnahme auf alle Sektoren des öffentlichen bis privaten Lebens, was Manipulation und Desinformation Tür und Tor öffnet.« Ein Vorbild wie etwa die BBC oder einen Überbau mit Aufsichtsgremien wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland brauche man im Klubrádió nicht, meint Vicsek selbstbewusst: »Die Philosophie des ›Klubrádió‹ bildet ein kohärentes demokratisch ausgerichtetes Ganzes. Schließlich sind praktisch alle Mitarbeiter aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier gelandet und bringen die entsprechenden Erfahrungen und ethischen Prinzipien mit ein.« Leider nahezu zum »Selbstkostenpreis«. Alle seien permanent überarbeitet und unterbezahlt.

Das »Klubrádió« in der heutigen Form gibt es seit 2001. Seit Arató dem Ungarischen Autoklub die Frequenzen abgekauft und dem einstigen Werbesender der Autolobby ein neues Profil verliehen hat. Mehr als ein Jahr hat der Sender nun unter den neuen Bedingungen überlebt. Obwohl es kaum mehr Werbeeinnahmen gibt, weil sich Unternehmen nicht zugunsten dieses regierungskritischen Senders positionieren wollten, erläutert Ferenc Vicsek. Sie seien mit der Androhung einer Steuerprüfung unter Druck gesetzt worden. Und auch der Spendenaufruf an die Hörer verhalle zunehmend ohne Echo wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Misere.

Einen ersten Streit vor Gericht um die Sendelizenz, vertraglich genehmigt von der alten, sozialistischen Regierung, aufgehoben von der neuen unter Viktor Orbán, hat der Radiosender unterdessen vor Gericht gewonnen. Es darf in Budapest auf einer anderen Frequenz weitersenden. Aber einige landesweite Frequenzen, zum Beispiel in Westungarn, in der Region um den Plattensee, gingen im Laufe einer Neuausschreibung bereits verloren. Also gerade da, in der Provinz, wohin die wenigen verbliebenen kritisch-informativen Printmedien kaum mehr ausgeliefert werden und wo eben das Internet als letzte verbleibende Nische für demokratischen Informationsfluss noch nicht selbstverständlich verfügbar ist. Das Fernsehen ist diesbezüglich längst außen vor. Sollte das »Klubrádió« verstummen, wird es still in Ungarns Wohnungen.

Die Autorin ist freie Journalistin und schreibt vor allem über Südost- und Mitteleuropa. Sie lebt in Berlin.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal