Rückkehr ins Stammland

Nach zwölf Jahren ist die SPD wieder stärkste Kraft in Nordrhein-Westfalen

  • Marcus Meier, Düsseldorf
  • Lesedauer: 4 Min.
Die SPD gewann ihr Stammland NRW zurück. CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen trat zurück. Die LINKE wird auf außerparlamentarische Opposition zurück geworfen. Auch die FDP ist zurück, die Piratenpartei neu dabei. Impressionen von der NRW-Landtagswahl.

Um 18.03 Uhr tritt Bärbel Beuermann vor ihre Genossen. »Ich könnte platzen vor Wut«, bekennt die bisherige Vorsitzende der Linksfraktion im NRW-Landtag. Und wirkt doch einigermaßen gefasst. Gerade kam die erste offizielle Prognose - die LINKE wird aus dem Parlament fliegen, in das sie vor zwei Jahren eingezogen war. Auf ein Wunder hofft in den Noch-Fraktionsräumen niemand. 2,5 Prozent - das ist brutal und unzweideutig.

Null statt elf Abgeordnete. Das Wahlergebnis: mehr als halbiert. Beuermann ist ratlos: »Wir haben doch die soziale Frage in den Landtag getragen und Rot-Grün vor uns her getrieben.« Doch LINKE-Erfolge wie die schnellere Abschaffung der Studiengebühren oder die Möglichkeit, Oberbürgermeister per Bürgerentscheid abzuwählen, hätten sich SPD und Grüne auf die Fahne geschrieben.

Die SPD hat ihr Stammland zurückgewonnen, es reicht für eine rot-grüne Mehrheit. Und die LINKE ist - neben der CDU - Verliererin der Wahl. Beuermann versucht, ihren Zuhörern, darunter Abgeordnete und Fraktionsmitarbeiter, Mut zu machen: »Wir lassen uns nicht tot reden, wir werden linke Politik weiter auf die Straße tragen«, sagt die Frau im knallroten Hosenanzug. Und: »Wir sind nicht weg, bei den nächsten Landtagswahlen stehen wir wieder auf der Matte«.

Hinter ihr hängt ein Transparent mit einem Tucholsky-Zitat: »Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!« Die Landtags-LINKEN sagten oft Jein. Per Stimmenthaltung ermöglichten sie rot-grüne Reformen. Mit einem rot-grün-roten Ja brachten sie auch einige eigene Projekte durch den Landtag, wenn auch nie ungeschoren. Die Wähler honorierten es nicht: Sie sagten Nein zur LINKEN.

Den Mitarbeitern, die die Fraktion nun entlassen muss, bietet Beuermann sich »als seelischer Mülleimer« an. Vereinzelt fließen Tränen. Sarkasmus überwiegt. Ironie hilft. Alkohol auch. Zumindest bis zum nächsten Morgen.

Währenddessen spricht Parteivize Sahra Wagenknecht vor Fernsehkameras von einer »herben Niederlage«, die allerdings nicht, wie sie betont, den Anfang vom Ende der LINKEN bedeute. Zu viel interne Streitereien, die Inhalte seien »bei den Wählern nicht mehr rübergekommen«. Mit Blick auf den neuen Bundesvorstand sagt die Politikerin: »Wir brauchen eine Führung, die kooperiert und keine, die ständig streitet.«

Noch schlechter ist die Stimmung bei der CDU. Weniger als 26 Prozent, ein Absturz um acht Prozent seit 2010 und um 18 Prozent seit 2005? Die Niederlage sei klar und bitter. »Das ist zuallererst meine Niederlage«, sagt der christdemokratische Spitzenkandidat Norbert Röttgen und tritt als Landesvorsitzender zurück.

Jubel derweil bei Grünen, FDP, Piraten und, natürlich, der SPD. Hannelore Kraft kann nun mit klarer Mehrheit regieren. Die SPD wurde stärkste Partei - zum ersten Mal seit zwölf Jahren. »Was für ein toller Abend«, strahlt Kraft und verspricht, »unser Bestes« zu geben.

Kurz vor 16 Uhr kursierten erste Gerüchte: Die SPD würde 39, die CDU unter 30 Prozent erringen. Die FDP wäre demgemäß im neuen Landtag vertreten - damit hätte noch vor wenigen Wochen niemand gerechnet. Die LINKE hingegen flöge raus. Eine halbe Stunde später werden die spekulativen Zahlen konkreter: SPD 38, CDU 26 bis 28, Grüne 12, FDP um die 7, Piraten 8, die LINKE 3 bis 4 Prozent. Flaue Röttgen-Scherze werden erzählt. Selbst seine Zukunft als Bundesumweltminister sei ungewiss: Schon sollen sie am Sessel des Mannes sägen, der als »Muttis Klügster« gilt und als potenzieller Kanzlerkandidat der Zukunft gehandelt wurde.

Um kurz nach fünf genehmigt Rüdiger Sagel sich ein erstes Pils auf dem Raucherbalkon. »Eine Palette von Gründen« macht der ehemalige Links-Fraktionsvize für die Niederlage verantwortlich - vom medialen Desinteresse und die neue Piraten-Konkurrenz über Erwartungen, die eine 5,6-Prozent-Partei nicht erfüllen könne, und die Wahlniederlage in Schleswig-Holstein bis hin zur »schlechten Performance« der LINKEN auf Bundesebene.

»Die Partei muss ihre Flügel- und Machtkämpfe beenden, sich thematisch verbreitern und sich zu einer modernen sozialistischen Partei transformieren«, fordert Sagel. Des Münsteraners einziger Trost: »Die CDU schifft offenbar noch schlimmer ab als wir.« Noch während er spricht, sinkt der Wert der LINKEN auf unter drei Prozent.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal