Natura 2000 - bis hierher und wie weiter?

Umweltverbände ziehen durchwachsene Bilanz des EU-Schutzprogramms

  • Wolfgang Ewert
  • Lesedauer: 2 Min.
Vor 20 Jahren trat die Flora-Fauna- Habitat- Richtlinie (FFH) der EU in Kraft. Mit dem europäischen Schutzgebietsprogramm Natura 2000 sollten die bedeutendsten Naturschätze und einmaligen Ökosysteme des Kontinents bewahrt werden. Auf einer Tagung zog kürzlich der Naturschutzbund Deutschland (NABU) eine Bilanz.
Feuchtwiese in Brandenburg
Feuchtwiese in Brandenburg

Europaweit sind knapp 20 Prozent der Landfläche als Natura-2000-Gebiete ausgewiesen. Das Schutzgebietssystem schützt somit zumindest formell die ökologisch wertvollsten Gebiete zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer vor Zerstörung und Degradierung. Spitzenreiter bei der Ausweisung von maritimen Schutzgebieten ist Deutschland mit 45 Prozent seiner Nord- und Ostseefläche. Zu Land allerdings liegt die Bundesrepublik mit gut 15 Prozent ausgewiesener Schutzgebietsfläche erheblich unter dem EU-Schnitt.

Doch damit nicht genug. Lediglich 20 Prozent der Arten und 25 Prozent der FFH-Lebensräume befinden sich dem NABU zufolge hierzulande in einem ökologisch guten Erhaltungszustand. Der Rest leidet unter zunehmenden Zerstörungen. Neben dem Fehlen von verbindlichen Schutzverordnungen, Managementplänen und der Finanzierung von Personal, Schutz- und Pflegemaßnahmen sind viele Schutzgebiete durch unzulässige Eingriffe bedroht.

Hermann Hötker vom Michael-Otto-Institut im NABU stellte auf der Tagung in Berlin dazu erste Ergebnisse einer Studie zum Verlust von Grünland in deutschen Schutzgebieten vor, die einmal mehr die Verantwortung der Landwirtschaft für den Zustand der Lebensräume verdeutlichen. Daten aus FFH-Gebieten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen: Innerhalb von fünf Jahren gingen in beiden Ländern infolge von Intensivierung oder Umwandlung in Ackerland vorwiegend für Maisanbau durchschnittlich 36 Prozent Grünland verloren, in einem FFH-Gebiet sogar 76 Prozent. Ähnliches zeigt sich in EU-Vogelschutzgebieten Norddeutschlands wie in Niedersachsen, wo der Grünlandanteil um rund ein Drittel in den vergangenen zwölf Jahren gesunken ist.

Für den NABU sind das eindeutige Verstöße gegen das geltende Verschlechterungsverbot. Für die Wiesenvogelbestände etwa ist dies verheerend. »Sie sind im freien Fall«, sagt Hötker, der für den Erhalt von Arten wie Kampfläufer, Uferschnepfe, Bekassine und Kiebitz das Schlimmste befürchtet. Die Ökologisierung der Agrarpolitik auf ganzer Fläche ist daher eine der Forderungen aus dem umfangreichen Katalog für die nächsten Jahre. »Gerade im Agrarhaushalt der EU muss endlich begonnen werden, für die Direktzahlungen an Landwirte auch gesellschaftliche Leistungen einzufordern«, so NABU-Präsident Olaf Tschimpke.

Trotz der Mängel würdigte er das Schutzgebietsprogramm als Meilenstein für den Naturschutz und betonte dessen internationale Vorbildrolle. Mit Blick auf die anfänglich schwierige Umsetzung, vor allem auch in Deutschland, hob er die Bedeutung der EU-Gremien und der Naturschutzverbände hervor, ohne die es Natura 2000 so nicht gegeben hätte.

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