Anstoß

Marginalien zur Fußball-EM / Heute: MARTIN HATZIUS

  • Lesedauer: 3 Min.

Furchteinflößender Mario Balotelli, der du den hautengen Brustpanzer eines Römischen Legionärs trägst, wo andere nur einen weichlichen Oberkörper herzuzeigen haben, weil du, Mario Balotelli, statt eines Schälchens Müsli und einer Toastscheibe mit Nuss-Nougat-Aufstrich allmorgendlich einen Eimer Kanonenkugeln verspeist; Mario Balotelli, du pfeilschnelle Spitze, die sich ohne Gnade ins Herz deines Gegners bohrt, du wutschnaubender, ungestümer, matt glänzender Rappe des Irokesen-Häuptlings Hiawatah; du, unbändiger Mario Balotelli, den eine schamgelbe Karte wegen unzüchtigen Entblößens so wenig juckt wie den Löwen die Stubenfliege; Mario Balotelli, der du die unwetterartig aufbrandenden Schallwellen deines Toooorpedo-Schreis nie im Leben von der ängstlich herbeigeflogenen Hand eines Mitspielers eindämmen lässt - du, Mario Balotelli, hast der schwarz-rot-goldenen Glückseligkeit ein jähes Ende bereitet. Am Donnerstagabend sah man sommersprossige Blondgesichter ihre Blicke unter die UEFA-Kameralinsen senken, geknickt wie abgebrochene Fähnchen an den Scheiben geleaster Automobile, auf den bleichen Wangen Spurrinnen, verwaschen von tränendurchtränkter Schminke.

Diejenigen quadratäugigen Besserwisser, die jetzt die Schuld an deinem Kopfballkracher zum 1:0 beim deutschen Innenverteidiger Holger Badstuber ausmachen, weil der das Luftduell mit dir erst gar nicht suchte - diese Großmäuler möchte ich einmal dabei beobachten, wie sie dir zu abendlicher Stunde in der Stadt begegnen. Ich bin mir vollkommen sicher: Anders als der tapfere Holger, der dir immerhin aus nächster Nähe bei deinem Kraftakt zuschaute, würden diese Leute vor schierer Angst die Straßenseite wechseln, sobald sie dich in der Ferne auch nur erahnen. Und wer Philipp Lahm jetzt dafür schilt, dass er den Wettlauf um den Ball, den du zum 2:0 mit einer Wucht in die Maschen dreschen solltest, die Neuer wahrlich alt aussehen ließ - wer also den wackeren Philipp dafür beschimpft, dass er diesen Sprint nicht gewann, den möchte ich einmal ein Rennen in einem Mercedes der A-Klasse gegen einen Ferrari fahren sehen.

Mario Balotelli, ich wünschte, du wärst an meiner Seite gewesen, als ich mir im Sommer 1990 das Finale der WM in deiner Heimat Italien (Argentinien gegen die BRD) im Berliner Lustgarten ansah. Dort hatte man damals eine Leinwand aufgestellt, obwohl das Wort »Public Viewing« noch englisch war und, überaus treffend, »Leichenschau« bedeutete. Eine Horde mit Baseballkeulen bewaffneter Glatzköpfe schritt vor dem Anpfiff bedächtig die Zuschauerreihen ab, um sich zu erkundigen, ob hier etwa irgend jemand für Maradonas Mannen sei. Hättest du, Mario Balotelli, damals neben mir gestanden, ich glaube, ich hätte es gewagt, einen Mucks von mir zu geben. Aber ach, Mario Balotelli, der magische Moment, da du das Licht der Welt erblicken solltest, lag ja noch fünf Wochen in der Zukunft.

Zuletzt, Mario Balotelli, möchte ich dir dafür danken, dass dein Doppelschlag unsere Bundeskanzlerin vor einer schwerwiegenden Entscheidung bewahrt hat. Denn du allein hast verhindert, dass Angela Merkel am Sonntag ins böse Kiew fliegen muss.

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