Patchwork der Hoffnung
Roma in der Slowakei leben ausgegrenzt. Sie helfen sich selbst, indem sie Treffpunkte und Nachrichtenagenturen gründen
Schon von Weitem fällt das Haus in einer Seitenstraße des Dorfangers von Rankovce auf. Es wurde erst kürzlich renoviert, eher ungewöhnlich in dem 1200-Einwohner-Städtchen im Osten der Slowakei. 60 Prozent der Bewohner sind Roma, frischen Putz wie am Haus von Kristen Wollam kann sich kaum einer leisten. Drinnen hängen bunte Patchworkdecken an den Wänden. Auf dem Tisch stehen frische Blumen.
Wollam, Baptistin aus den USA, hat ihren Job als Englischlehrerin in Wien aufgegeben, um sich nützlich zu machen. Mit einer Freundin kam sie auf einem Ausflug in die Slowakei und sah dort das Elend der Roma. »Ich wollte den armen Leuten einfach nur helfen«, erinnert sich Kristen Wollam an ihren naiven Start im Osten der Europäischen Union, keine 90 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. In Rankovce bietet sie Näh- und Patchworkkurse für Romafrauen an. Jedes fertige Stück bekommen die Kursteilnehmerinnen bezahlt. Kirchengemeinden in Wien und anderen Großstädten versuchen dann, die Patchworkdecken und Wandteppiche zu verkaufen.
Anfangs stürzte sich Wollam mit viel Idealismus in die Arbeit. Als sie für ein paar Tage zurück nach Wien fuhr, überließ sie einer der Frauen sogar ihren Hausschlüssel. Deren Mann sollte gegen Bezahlung das Haus weiter renovieren. »Die beiden«, erinnert sich die Amerikanerin lachend, »haben ganz viel bei mir gestohlen.« Die Diebin sei aber »wie alle hier eine ganz liebe Frau. Als ich sie zur Rede stellen wollte, hat sie mir in meinem Pyjama die Tür aufgemacht und alles abgestritten.« Nein, enttäuscht sei sie deshalb nicht. »Nur realistischer.« Sie blieb in Rankovce, kaufte das Haus und machte weiter. »Die Frauen sind mit Begeisterung dabei. Sie wollen wirklich arbeiten«, erzählt Wollam. Sie seien froh, auf diese Weise einmal von zu Hause weg zu kommen.
Wie in den meisten ostslowakischen Dörfern leben die Roma in isolierten Siedlungen außerhalb der Ortschaften. Die Behausungen sind aus Ziegelsteinen, Wellblech und Bauschutt zusammengezimmert. Wasser müssen sie zu Fuß in Plastikeimern aus oft weit entfernten Brunnen holen. Viele Häuser haben auch keinen Stromanschluss, erzählt der Bürgermeister von Rankovce, Stanislav Hada. Der zurückhaltende kleine Mann mit dem scheuen Blick ist selbst Roma. Vor der »Wende« bauten viele Romafamilien ihre Häuser ohne Genehmigung auf ungenutztem Land. Heute weiß oft niemand mehr, wem die Grundstücke gehören. Findet sich ein privater Eigentümer, will der meist nicht an »Zigeuner« verkaufen.
Zur nächsten Grundschule müssen die Kinder ins Nachbardorf fahren. Doch auch dort lernen sie nicht viel. Wie überall in der Slowakei gelten die Romakinder als dümmer und fauler als andere. Viele Lehrer schicken sie deshalb gleich auf die Sonderschule. Im ganzen Landkreis berichten Mütter und Bürgermeister, dass Nicht-Roma-Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen, wenn zu viele Roma in eine Klasse gehen. Die Busfahrkarte zu weiterführenden Schulen oder einer Lehrstelle in die 25 Kilometer entfernte Kreisstadt Kosice können sich die meisten Roma nicht leisten.
Damit wenigstens einige von ihnen einen Beruf erlernen, hat Bürgermeister Hada einen Raum im Rathaus freigeräumt. Hier bekommen elf Jugendliche eine Maurerausbildung. Ob sie damit jemals einen Job finden, weiß niemand. Die Frage nach ihren Wünschen und Hoffnungen beantworten die schüchternen jungen Männer mit einem Schulterzucken. Sie wollen »eine gute Arbeit, eine Familie«. Doch in den Romasiedlungen liegt die Arbeitslosigkeit bei 100 Prozent. Die Menschen leben von der kargen Sozialhilfe: 60 Euro im Monat bei Preisen etwa halb so hoch wie in deutschen Großstädten.
Im Nachbarort Kecerovce, wohnen 3000 Menschen, darunter rund 1800 Roma, verteilt auf drei Siedlungen außerhalb des Dorfes. Mithilfe des EU-Projekts YEPP (Youth Empowerment Partnership Project) haben Jugendliche im Ort einiges bewegt: Als Erstes fragten sie ihre Altersgenossen in einer Bedarfsanalyse mit Fragebögen nach ihren Wünschen. Das Ergebnis: »Wir brauchen einen Treffpunkt.« Der Bürgermeister überließ ihnen einen kleinen Raum am Dorfplatz.
Sie renovierten, bauten eine Theke ein, besorgten eine alte Kochplatte, ein paar Stühle, ein knallgrünes, gebrauchtes Sofa, einen Teppich und ein paar wackelige Tische. An die strengen Regeln, die sich die Jugendlichen selbst gegeben haben, halten sich alle: kein Alkohol, Rauchverbot im Klub, keine Eltern und Stillschweigen über alles, was im Raum gesprochen wird. Anfangs kamen wenige. Inzwischen treffen sich hier sogar junge Leute aus untereinander zerstrittenen Romafamilien und -siedlungen.
Von den großen Projekten, die die Europäische Union und die slowakische Regierung den Roma zukommen lassen, haben die meisten die Nase voll. Wie ein Mahnmal erinnert der verwaiste Dorfplatz vor dem Rathaus mit seinen modernen, ungenutzten Spielgeräten daran, dass gut gemeint etwas anderes ist als gut gemacht. Die 150 000 Euro teure Fläche, die mit Verbundsteinen gepflastert ist, liegt öde da.
»Die Planer fragen nicht, was wir wirklich brauchen«, kritisiert die Journalistin Kristina Magdolenová. Sie arbeitet bei der Nachrichtenagentur MECEM, die vor zwölf Jahren von einigen Roma gegründet wurde. Dass die slowakischen Zeitungen, Fernseh- und Radiosender die sogenannten Zigeuner fast nur als Opfer, Kriminelle oder Problemfälle zeigen, störte sie. Inzwischen produziert MECEM komplette Fernseh- und Radiosendungen für den slowakischen Rundfunk. Das Ziel: ein ausgewogenes, differenziertes Bild der Minderheit, das auch erfolgreiche, gebildete Roma zeigt.
Róbert Bacik Géza zum Beispiel, den hier alle Robo nennen. Er hat studiert und es zum Sozialarbeiter gebracht. Jetzt spart der 25-Jährige auf ein Theologiestudium. Er möchte Pastor werden. Journalistin Kristina Magdolenová hat Robos Lebensgeschichte schon dokumentiert.
Robo ist in einem Kinderheim keine zehn Kilometer östlich von Kecerovce aufgewachsen. Sein Vater, ein bekannter Musiker, starb kurz nach Robos Geburt. Die elf älteren Geschwister blieben bei der Mutter in Lunik IX, einem landesweit bekannten Getto aus verfallenen Plattenbauten am Stadtrand Kosices. Ihn, den Jüngsten, steckte das Jugendamt ins Heim, größere Jungs bedrohten ihn. Einer versuchte ihn zu vergewaltigen und schlug ihn zusammen. Danach lag Robo eine Woche im Krankenhaus. Mit elf Jahren war er alkoholabhängig.
Im Heim lernte er Programmieren und verdiente damit als Jugendlicher eigenes Geld, mit dem er sich später einen Teil seines Sozialarbeiterstudiums finanzierte. Dann entdeckte er die Religion, kam vom Alkohol los, brachte sich Gitarre und Schlagzeug bei. Heute spielt er in einer christlichen Rock-Metal-Band, die auf vielen Festivals auftritt, geht regelmäßig zur Kirche. Der Pastor in Kecerovces Nachbargemeinde Opina ist sein Arbeitgeber. Lange hatte sich Robo gesträubt, in seinem Beruf mit Roma zu arbeiten. »Ich war richtig rassistisch«, bekennt er. Sein Glaube brachte ihn schließlich dazu, seine Meinung zu ändern. Jetzt ist er als Sozialarbeiter vielen Romajugendlichen ein Vorbild.
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