Tragödie in Taranto

Schließung einer Giftschleuder treibt Arbeiter auf die Straße

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Stahlwerk ILVA im süditalienischen Taranto muss teilweise schließen, da es die Umwelt vergiftet und Krankheiten und Tod bringt. Das hat die zuständige Staatsanwaltschaft beschlossen und außerdem Haftbefehle gegen die gesamte Führungsriege einschließlich des Konzernchefs Emilio Riva ausgestellt. Die Arbeiter und auch die Lokalpolitiker protestieren gegen diese Verordnung.
In Taranto nennt man sie nur »die Fabrik«. Jeder weiß, was gemeint ist, denn Europas größtes Stahlwerk ILVA ist mit Abstand der Hauptarbeitgeber der Gegend. Hier sind fast 12 000 Menschen beschäftigt und weitere 8000 in Zulieferbetrieben. Etwa die Hälfte des Bruttosozialproduktes der Provinz wird hier produziert. Aber jetzt sollen nach Anordnung eines Gerichts vom Donnerstag sechs Abteilungen des Werks schließen, weil es die Umwelt verpestet und die Menschen krank macht. Vor allem der Ausstoß von Dioxin liegt weit über den gesetzlich erlaubten Grenzwerten. Krebs-, Herz- und Luftwegserkrankungen treten bei Anwohnern und Arbeitern häufig auf. Die Sterblichkeit in der Umgebung liegt dadurch um 10 bis 15 Prozent über dem Durchschnitt. Umweltexperten bezifferten die Kosten für eine umfassende Reinigung der Region von Bleirückständen in Boden und Wasser auf mindestens 300 Millionen Euro.

Die Maßnahme gefährdet rund 5000 Arbeitsplätze in der Fabrik, die zum italienischen RIVA-Konzern gehört, der auch zwei Stahlwerke in Brandenburg betreibt. Sofort nach Bekanntwerden gingen in Taranto etwa 8000 Menschen auf die Straße. Auch am Wochenende blockierten sie alle Zufahrtwege in die Stadt in der Region Apulien. Die Gewerkschaften riefen einen unbefristeten Streik aus. Mauro Liuzzi von der Metallgewerkschaft UILM erklärte: »Es geht nicht an, dass die Fehler von einigen jetzt auf allen lasten. Hierher kommen die Arbeiter jeden Tag, um ihre Familien zu ernähren. Wir fordern unser Recht auf Arbeit, das natürlich mit dem Recht auf Gesundheit und eine saubere Umwelt verknüpft werden muss.« Kritik kam zudem vom italienischen Industrieverband.

Verschiedene Lokalpolitiker und auch Minister forderten die Justizbehörde auf, die Maßnahme zurückzuziehen oder zumindest auszusetzen, bis man eine Übergangslösung gefunden hat. Dies veranlasste Oberstaatsanwalt Giuseppe Vignola dazu, an die demokratische Gewaltenteilung zu erinnern und sich gegen jegliche Einmischung durch die Politik zu verwahren. »Wir hatten keine andere Möglichkeit«, erklärte er und verwies auf die Arbeit von Sachverständigen, die zweifelsfrei festgestellt hatten, dass ILVA die öffentliche Gesundheit gefährdet und vor allem nachts giftige Gase durch die Essen schleudert.

Der Ministerpräsident der Region Apulien, Nichi Vendola, von der Partei SEL (Linke, Ökologie, Freiheit), äußerte in einem Interview Respekt für die Staatsanwälte wie auch für die Arbeiter, die jetzt auf die Straße gehen. Er sprach vom Ende einer Ära, in der die Gesundheit der Menschen und der Umweltschutz gegenüber dem Profit nur eine untergeordnete Bedeutung hatten. Jetzt müsse man »ein neues Gleichgewicht finden, da aus einem Krieg zwischen Arbeit und Umwelt alle als Verlierer hervorgehen«.

Die Werksleitung und die Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass in den letzten zehn Jahren bereits viel für den Umweltschutz getan und fast eine Milliarde Euro in diesen Bereich investiert worden sei. So sei der Dioxin-Ausstoß deutlich reduziert worden.

Doch dies ist offensichtlich nicht ausreichend. Die Einwohner von Taranto und die ILVA-Belegschaft müssen heute wie in einer griechischen Tragödie zwischen zwei Übeln wählen - Arbeitslosigkeit und Armut oder Krankheit und Tod.

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