Sozialdemokratischer Frost

Kolumne

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Frank-Walter Steinmeier hat das Angebot der Linkspartei, zu einer rot-rot-grünen Kooperation unter Bedingungen bereit zu sein, als »Hilferuf eines Ertrinkenden« abgetan. Der SPD-Fraktionschef stimmte ein in den Chor sozialdemokratischer Abwehr, keinesfalls überraschend, obwohl seiner Partei selbst das Wasser bis zum Hals reicht. Weder liegt ein rot-grüner Hafen in bundespolitisch erreichbarer Nähe, noch kann der SPD die Zweitvariante »Große Koalition« wirklich als rettendes Ufer erscheinen. Das letzte Mal legte man von dort mit 23 Prozent wieder ab.

Nur: Die Steinmeiers und Gabriels, sie wollen es offenbar nicht begreifen. Was im Willy-Brandt-Haus noch als Strategie gelten mag - also die Linkspartei per Kontaktsperre klein zu halten, um daran selbst zu wachsen -, erscheint im Licht der Umfragen wie grotesker Selbstbetrug. Nur ein paar Prozent hat sich die SPD von ihrem historischen Tiefstand wegbewegt - in politischen Dimensionen wenige Zentimeter.

Nun hört man oft, die Probleme einer SPD, die gern rhetorisch Opposition spielt, um dann doch den Krisenkurs der Kanzlerin mitzutragen, diese Probleme müssten die Linken gar nicht jucken. Hartz, Kriegseinsätze, Deregulierung, Schuldenbremse: Solange die Sozialdemokraten nicht von ihrer falschen Politik abkehren, müssten die Linken in Parteien und Bewegungen, die diese schon immer kritisiert haben, eigentlich stärker werden.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Und das in einer Zeit, in der die gewaltige Größe der sozialen und ökonomischen Probleme auch Maßstab für jeden Versuch sein muss, sie politisch zu lösen. Mit bloßer Reparatur ist da nichts mehr zu kitten. SPD und Grüne springen jedoch mit ihren Vorschlägen zu kurz. So begrüßenswert es ist, wenn Rot-Grün sich, jedenfalls auf dem Papier, wieder Werkzeuge der steuerlichen Umverteilung und marktwirtschaftlichen Bändigung aneignen will: Die Krise der real existierenden Wirtschafts- und Lebensweise, die uns hier im Norden ja sogar noch als vergleichsweise erträgliche Unbill gegenübertritt, ist im Rahmen des kapitalistisch Erlaubten nicht zu überwinden. Einerseits. Andererseits drängen die Probleme - Klimawandel, Armut, verschärfte Konkurrenz um die verbliebenen Lebensgrundlagen, Kriegsgefahr und so fort - dazu, mit ihrer Lösung jetzt zu beginnen. Und das wird, die Zeit drängt, auch die Kooperation jener verlangen, die in Teilen politische Gemeinsamkeiten haben.

Solange die Steinmeiers und Gabriels aber die öffentliche Debatte darüber verweigern, was möglich ist und was nicht; solange sie das Reden über die Reformpotenziale eines Mitte-Links-Lagers mit ihrer Abgrenzungsrhetorik entpolitisieren; solange also jene Mehrheit der Menschen, die in Umfragen deutliche Kritik am Kapitalismus bekundet, keine praktische Umsetzungsperspektive für Alternativen zum gegenwärtigen Regierungskurs erkennen kann - solange wird nur eine profitieren: Angela Merkel.

In dieser Woche, in der die LINKE vom rot-rot-grünen Frühling sprach und sozialdemokratischen Frost erntete, liegt die Zustimmung zur Krisenkanzlerin so hoch wie seit dem Wahljahr 2009 nicht mehr.

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