Julius Hirsch, Nationalspieler, ermordet

Eine neue Biografie erinnert an den jüdischen Fußballer und das lange Schweigen des DFB

Gottfried Fuchs und Julius Hirsch waren Stars des deutschen Fußballs. Dann trieben die Nazis den einen aus dem Land und töteten den anderen. Der deutsche Fußball hat lange gebraucht, um sich zu seiner Verantwortung zu bekennen.

Anfang August ist Andreas Hirsch aus Kanada zurückgekommen. Er hat dort Menschen getroffen, mit denen ihn vieles verbindet - nicht zuletzt schmerzliche Erinnerungen. Hirsch, der in Karlsruhe ein Reiseunternehmen betreibt, hatte einen Großvater und Natalie Fochs Isaacs einen Vater, die zu den erfolgreichsten Fußballspielern des frühen 20. Jahrhunderts gehörten. Doch Gottfried Fuchs (»Gotti«), zehnmaliger Torschütze beim deutschen 16:0 gegen Russland im Juli 1912, war im Jahr 1937 nach Kanada geflüchtet. Er hatte Glück, die Entscheidung, Nazi-Deutschland zu verlassen, rettete ihm das Leben. Sein Freund und jüdischer Mitspieler Julius Hirsch (»Juller«) wurde hingegen im KZ Auschwitz ermordet. Bei den Recherchen zu seinem Buch »Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet« hat der Hamburger Journalist Werner Skrentny beide Familien mehrfach besucht. Was sie so voneinander erfuhren, hat den Entschluss reifen lassen, sich nach all den Jahren persönlich zu treffen.

Im Alter von 17 Jahren kam Hirsch zu seinem ersten Einsatz beim Karlsruher Fußball Verein, dem auch der spätere »kicker«-Gründer Walter Bensemann angehört hatte. Beim KFV, der 1910, 1911 und 1912 mit Hirsch Süddeutscher Meister wurde, war er als technisch starker Linksfuß Teil des Dreier-Sturms um Fritz Förderer und Gottfried Fuchs, an den sich der spätere Nationaltrainer Sepp Herberger noch Jahrzehnte später erinnern sollte. »Der Karlsruher Innensturm Förderer, Fuchs, Hirsch imponierte mir mit seinen technischen Kunststückchen und bestechenden Kombinationszügen.« 1911 wurde Hirsch erstmals in die Nationalelf berufen, 1912 gelangen ihm beim 5:5 gegen die Niederlande vier Tore. Hirsch ist zweimal Deutscher Meister geworden, mit dem KFV (1910) und der Spielvereinigung Fürth (1914).

Als Hirsch, der im Ersten Weltkrieg an der Front war und danach ins Badische zurückkehrte, 1933 liest, dass die süddeutschen Sportvereine ihre jüdischen Mitglieder ausschließen wollen, tritt er tags drauf aus seinem Heimatverein aus. Zwei KFV-Spieler, Lorenz Huber und Fritz Scherr, halten ihm die Treue, alle anderen schneiden ihn. Monat für Monat steigt die Isolation, in seiner Verzweiflung lässt sich das Ehepaar Hirsch scheiden, die Kinder sollen getauft werden. Julius will, dass wenigstens die Frau und die Kinder Esther und Heinhold in Sicherheit vor den Nazis sind. Doch der NS-Wahn ist stärker - Ehefrau Ella Hirsch gilt den Rassisten als Halbjüdin.

Obwohl Hirsch Tag für Tag die Erfahrung macht, wie die Rassenideologie zur totalitären Doktrin wird, weigert er sich nach wie vor, Deutschland zu verlassen. Ein versiegeltes Postauto, das ihn außer Landes bringen soll, wartet vergebens. Zu den traurigsten Passagen des Buches gehört, wie Tochter Esther die Zerrissenheit des Vaters beschreibt. »Mein Vater hatte keinen Gedanken daran, dass ihm die Deutschen etwas antun könnten. Er hat sich das gar nicht vorstellen können, als Frontkämpfer und bekannter Nationalspieler.« 1943 wird Hirsch deportiert und offenbar direkt nach seiner Ankunft in Auschwitz ermordet. Am 8. Mai 1945 wird er auch offiziell für tot erklärt. Erfreulicher verläuft das Schicksal von Fuchs. Nachdem die Schweiz ihm die Aufnahme verweigert, gelingt ihm die Flucht nach Kanada, wo seine Enkel noch heute leben.

Skrentnys Buch dokumentiert im zweiten Teil die aus heutiger Sicht unfassbare Kontinuität des Schweigens und Verdrängens. Noch 1972 weigerte sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB), Fuchs nach München einzuladen - Herberger wollte ihn bei der Eröffnung des Olympiastadions dabei haben.

Die Zeiten haben sich auch im Fußball geändert - wenn auch erst Jahrzehnte nachdem in anderen gesellschaftlichen Bereichen die NS-Verstrickungen aufgearbeitet wurden. Seit 2009 vergibt der DFB im Andenken an den Nationalspieler jüdischen Glaubens den »Julius-Hirsch-Preis«. Er wird an Personen und Organisationen verliehen, die gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus kämpfen. Das Skrentny-Buch wurde von der DFB-Kulturstiftung gefördert, auch der Badische Fußball Verband beteiligte sich an den Kosten. »Dass sich die Haltung des DFB geändert hat, liegt nicht zuletzt an Theo Zwanziger«, glaubt Autor Skrentny. Der ehemalige Verbandspräsident habe sich auch biografisch mit dem Schicksal Hirschs verbunden gefühlt: »Auch Zwanzigers Vater wurde nach dem Krieg als vermisst gemeldet.«

Werner Skrentny: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers. Verlag: Die Werkstatt. 352 S., geb., 24,90 €.

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