Anklage ohne konkrete Straftat

In Hamburg wird an einem Kurden vor Gericht ein zweifelhafter Terrorbegriff exerziert

  • Martin Dolzer, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
In Hamburg hat zu Wochenbeginn das Verfahren gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay begonnen, das als Musterprozess für weitere ähnliche Anklagefälle gelten kann.

Eine konkrete Straftat wird Ali Ihsan Kitay nicht vorgeworfen. Trotzdem muss der in Deutschland anerkannte Flüchtling damit rechnen, dass das Verfahren, das am Montag vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg begann und vorerst auf 30 Prozesstage bis zum Dezember 2012 terminiert ist, für ihn mit einer Freiheitsstrafe endet. Dieses Paradoxon erklärt sich aus der Konstruktion des Paragrafen 129 b Strafgesetzbuch, dessen Verletzung Kitay vorgeworfen wird. Erst 2002, nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York eingeführt, erklärt der Paragraf die Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer Vereinigung im Ausland zur Straftat, wenn diese dort als terroristisch eingestuft wird. Voraussetzung ist eine entsprechende Ermächtigung durch das Bundesministerium für Justiz (BMJ).

Seit Oktober 2011 sitzt der 47 Jahre alte Ali Ihsan Kitay in Untersuchungs-, die meiste Zeit in Isolationshaft. Kitay habe von 2007 bis 2008 in Norddeutschland als Kader der PKK die Region Hamburg geleitet und sich auch an Aktionen der Organisation im Nordirak beteiligt, so die Bundesanwaltschaft.

Als 1994 in einem groß angelegten Prozess 19 vermeintliche Mitglieder der Kurdischen Arbeiterpartei PKK vor dem OLG Düsseldorf angeklagt und zum Teil verurteilt wurden, war noch eine breite Solidarisierung mit den Angeklagten die Folge. Der damalige Generalbundesanwalt Rebmann fuhr schweres Geschütz auf und erklärte die PKK vor dem Verfahren zum »Hauptfeind der inneren Sicherheit«. Gleichwohl: Der Prozess wurde von internationaler Kritik an der menschenrechtswidrigen Verfahrensführung sowie an den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei begleitet. Der Versuch, die PKK gemäß Paragraf 129 a als terroristisch zu definieren, scheiterte daran, dass der PKK in der Bundesrepublik keine terroristischen Handlungen vorzuwerfen waren. Von 1997 bis heute wurden vermeintliche PKK-Mitglieder deshalb nach dem Vereinsgesetz oder Paragraf 129 (Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung) verurteilt. Mit der Schaffung des Paragrafen 129 b ist nun eine Anklage auch wegen angeblicher Straftaten im Ausland möglich.

Parallel wird seit Mitte der 90er Jahre die kurdische Frage unter weitgehender Ausblendung der Hintergründe des Konflikts öffentlich als Terrorproblem dargestellt. Selbst in der gesellschaftlichen Linken blieb die Denunzierung des Befreiungskampfes nicht ohne Folgen. Das jetzige Verfahren vor dem OLG Hamburg ist seit 1994 jedoch der erste Versuch, einen Terrorvorwurf auch auf juristischer Ebene zu exerzieren.

Rechtsanwalt Carsten Gericke spricht von einer Instrumentalisierung der Strafjustiz mit Hilfe des Paragrafen 129 b. Mit der Ermächtigung durch das Justizministerium folge die strafrechtliche Verfolgung strategischen und außenpolitischen Interessen. Zudem halte die Bundesanwaltschaft wesentliche Akten zurück. Hierdurch werde das Recht auf ein faires Verfahren und »Waffengleichheit« der Prozessbeteiligten verletzt.

Ali Ihsan Kitay saß in der Türkei mehr als 20 Jahre im Gefängnis und wurde dort mehrfach gefoltert. In einer politischen Erklärung beschrieb er seine Erlebnisse eindrücklich. »Immer wieder kommen mir schreckliche Bilder ins Gedächtnis. Da sämtliche demokratischen Wege verschlossen sind und jeder Mensch von Kindheit an täglich mit unerträglichem Unrecht konfrontiert war und auch heute ist, bleibt vielen Menschen nur der Weg in die Berge«, so Kitay.

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