Kreislauf aus Armut und Scham

Selbstständige haben Probleme bei der Rückkehr in die Krankenversicherung

  • Sandra Trauner, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
137 000 Menschen in Deutschland haben keine Krankenversicherung. Ihr Leben begleitet die Angst vor der nächsten Arztrechnung. Die meisten sind arm - oder waren einmal selbstständig und privat versichert.

Meistens läuft es so: Ein Mann macht sich selbstständig und schließt eine private Krankenversicherung ab. Dann geht der Betrieb pleite, er kann die Beiträge nicht mehr bezahlen, die Versicherung wirft ihn raus. Die ersten Jahre macht ihm das nichts aus: Mit einer Arztrechnung ab und an kommt er billiger weg als mit monatlichen Beiträgen. Doch dann wird der Mann krank, die Rechnungen werden häufiger und teurer. Nun würde er sich gern wieder versichern, aber die private Krankenkasse nimmt ihn nicht mehr .

Erst vergangene Woche saß wieder ein solcher Mensch bei Petra Tiarks-Jungk im Behandlungszimmer. Die Ärztin hilft in der »Humanitären Sprechstunde« im Frankfurter Gesundheitsamt Menschen ohne Krankenversicherung. Zu ihr kommen Illegale, Obdachlose, Sinti und Roma, Migranten, aber auch Deutsche ohne Versicherungsschutz sind darunter. 137 000 Menschen waren 2011 in Deutschland nicht krankenversichert. Das sind 0,2 Prozent der Bundesbürger, wie das Statistische Bundesamt am Montag berichtete.

Selbstständige und Erwerbslose waren besonders häufig nicht krankenversichert. Von ihnen hatten jeweils rund 0,8 Prozent kein Versichertenkärtchen. »Damit waren diese beiden Personengruppen in etwa viermal so häufig ohne Krankenversicherungsschutz wie die Bevölkerung insgesamt«, rechnet Destatis-Mitarbeiter Robert Herter-Eschweiler vor.

Die Zahl der Nicht-Krankenversicherten schrumpft allerdings deutlich - um 30 Prozent ist sie seit 2007 gesunken. Der Grund: Die Gesundheitsreform verpflichtete die privaten Krankenversicherungen damals dazu, ab 2009 einen sogenannten Basistarif anzubieten. Die Schmalspurversicherung darf nicht mehr kosten als der Höchstbeitrag bei den gesetzlichen Versicherungen - 2012 sind das laut Bundesgesundheitsministerium 593 Euro pro Monat.

9300 Menschen, die vorher nicht versichert waren, haben nach Zählung des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV) seither von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Nicht alle Rückkehrer wählen den Basistarif, manche schließen auch eine normale private Versicherung ab, wie viele ist nicht bekannt.

Dass es eine »Rettungsleine« für Menschen gibt, die sonst keine Chance auf Krankenversicherungsschutz hätten, finden die privaten Versicherer gut. Betriebswirtschaftlich aber rechnen sich diese Neukunden nicht, wie PKV-Sprecher Stephan Caspary erklärt. Die gesetzlichen Kassen dürfen zwar niemanden wegen seines schlechten Gesundheitszustands ablehnen, aber sie müssen keinen aufnehmen, der zuvor privat versichert war. »Ein Rückkehrrecht gibt es nur in die jeweils letzte Versicherung«, erklärt Ann Marini vom GKV-Spitzenverband.

Und so kann es sein, dass immer noch Menschen ohne Versichertenkarte in der Sprechstunde von Frau Dr. Tiarks-Jungk sitzen. Der Mann, der vergangene Woche da war, hatte nach der Pleite seiner Schreinerei Privatinsolvenz angemeldet. Ins Krankenhaus traute er sich nicht, schon die letzte Rechnung dort hatte er nicht bezahlen können. Obwohl für Bedürftige der Basistarif noch mal halbiert wird, hatte der 60-Jährige keinen Vertrag abgeschlossen. »Aus Scham«, vermutet die Ärztin. »Der Mann hatte früher gut verdient, es war ihm peinlich.« Heute zögert er jeden Arztbesuch so lange hinaus, bis es gar nicht mehr geht - aus Angst vor der Rechnung.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal