Die kleine heile Welt der Kristina Schröder

Das Glücksgefühl der Ministerin und unbeantwortete Fragen anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung über Jugendopposition in der DDR

Es gibt eine neue Plakatausstellung der Bundesstiftung Aufarbeitung: »Jugendopposition in der DDR«. Sie wurde diesmal jedoch nicht im Hause Eppelmann fabriziert, nur finanziert. Inhaltlich verantwortlich zeichnet die Robert-Havemann-Gesellschaft.

Die Familien- und Jugendministerin ließ es sich nicht nehmen, die neue Dokumentation in ihrem hauptstädtischen Domizil selbst vorzustellen. Der geladenen Presse war es indes nicht vergönnt, Fragen zu stellen. Das Ministerium wünschte dies nicht. Aus Furcht, Kristina Schröder könnte mit neugierigen oder hämischen Interventionen zu Herd-Prämie oder Kita-Chaos belästigt werden?

Wie auch immer, die 36-Jährige konnte also unbehelligt in Kindheitsreflexionen schwelgen. »Meine bescheidene westdeutsche Erinnerung an das Unrechtsregime beginnt mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989. Ich war damals 12 und saß gebannt mit meiner Familie vor dem Fernseher.« Sie habe alles auf VHS-Kassetten aufgenommen und spüre noch immer die Erhabenheit des Augenblicks, wenn sie sich diese anschaue. Frau Schröder wünscht sich, dass heutige Jugendliche »auch das Glücksgefühl spüren, in einer freien Gesellschaft zu leben« und mahnte, darüber nicht jene zu vergessen, »die dafür kämpfen mussten, ihre Zukunft und vielleicht ihr Leben riskiert haben«.

Dem folgte ein allgemeiner und die anwesenden Gymnasiasten direkt ermunternder Appell: »Demokratie braucht Menschen, die sich einmischen und vernehmbar zu Wort melden.« Wie vereinbart sich diese edle Aufforderung mit dem Linksextremismus-Verdikt der Ministerin wider junge Menschen, die gegen Bundeswehrtruppenübungsplätze und Rüstungsexporte protestieren oder Neonazis blockieren? Wie mit der Tatsache, dass Antifa- und andere antirassistische Initiativen keinen Cent von den 29 Millionen Euro erhalten sollen, die das Ministerium für »Toleranz fördern, Kompetenz stärken« bereitstellt, nur weil die Chefin bei jenen »rot« sieht? Auch hätte »nd«, wenn es erlaubt gewesen wäre, gefragt, wie Frau Schröder zum massiven Eindringen der Bundeswehr in Schulen steht. Würdigte sie doch explizit die in der Schau porträtierten Jugendlichen, die in der DDR den Wehrdienst aus religiösen (Reiner Bohley, Thomas Kretschmer,) pazifistischen (Ralf Hirsch, Christian Halbrock) ) oder politischen Gründen (Detlef Pump) verweigerten, gegen das Wehrdienstgesetz von 1982 und Wehrkundeunterricht protestierten, wie Tina Krone.

»Es hat in der DDR zu allen Zeiten und in vielen Regionen Widerstand vor allem von jungen Menschen gegeben«, sagte der Geschäftsführer der Havemann-Gesellschaft Olaf Weißbach.

Die von Tom Sello, Mitbegründer der Ostberliner Umweltbibliothek, und der Germanistin Stefanie Wahl kuratierte Wanderausstellung bietet Einblicke in 18 widerständige Biografien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Arno Esch, Hermann Flade und Thomas Ammer in den 50er Jahren konfrontativ und konspirativ dem System den Krieg erklärt hatten (auch mit Brandanschlag) oder Michael Gartenschläger todesmutig Selbstschussanlagen an der Grenze abbaute (wobei er 1976 erschossen wurde), stritten Bernd Eisenfeld, Bettina Wegner und Christian Kunert (Renft) für einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. (Sind diese Drei in der Geisteswelt der Kristina Schröder »Linksextremisten«?) Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und die Ausbürgerung Biermanns 1976 waren auch für Doris Liebermann und Gabriele Stötzer die entscheidenden und einschneidenden Ereignisse. Lyrikstudent Siegmar Faust stieß sich an der Dogmatisierung des Marxismus. Für Frank Ebert und Evelyn Zupke brachten die Kommunalwahlen 1989 das Fass der Empörung zum Überlaufen.

Die Partei- und Staatsführung der DDR, die unermüdlich betonte, »der Jugend Vertrauen« zu schenken, reagierte auf Unmut und Ungehorsam, Zweifel und Zorn verärgert und repressiv. Die Abstrafung reichte von Exmatrikulation und Berufsverbot bis Jugendwerkhof oder Stasi-Haft, Ende der 40er/Anfang der 50er durch Eingreifen der Besatzungsmacht gar zu Todesurteilen. Der komplexe zeitgeschichtliche Kontext bleibt in der Kürze der Plakat-Schau ausgespart, und leider erfährt man auch nichts über die Lebenswege der Porträtierten nach 1990.

Die Ausstellung kann gegen eine Schutzgebühr von 50 € als Kopie bei der Robert-Havemann-Gesellschaft erworben werden.

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