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Ein Burgvogt, der den Holocaust anzweifelt
Anhänger der so genannten Neuen Rechten tritt bei den Blankenburger Ritterspielen auf
Einer, der auch bei der zehnten Auflage am Wochenende den Helm aufhaben wird, fühlt sich im Mittelalter dagegen zu Hause: Harry Radegeis, Burgvogt der »Milites de Regensteyn« (Ritter vom Regenstein) - und bekannter Anhänger der Neuen Rechten. Als schrulliger bärtiger Herr mit ausgeprägter Spielfreude wird Radegeis in der Harzregion beschrieben. Doch der 1953 auf Rügen geborene studierte Grafiker und Runenforscher, der 1982 seinen bürgerlichen Namen Schmidt durch ein »heidnisch-gotischeres« Etikett ersetzte, schwärmt nicht nur aus Lust am Kostümieren für altgermanische Riten und mystische Naturverbundenheit. Immer wieder tauchte er in neurechten Vereinigungen auf, darunter dem völkischen Armanenorden oder der Braunschweiger Gruppe 33, einem »Schutzbund für das deutsche Volk«.
Germanenkult, Esoterik, und Ökologie vermengt
Zeitweise suchte er auch die Nähe zur grün-alternativen Szene, um »den Gegner verwirren« und seine Theorien wirksamer verbreiten zu können. Diese führen, wie oftmals bei der Neuen Rechten, ein Gemisch aus Germanenkult, Esoterik und Ökologie, zu teils rassistischen Theoriegebilden. Mindestens zweimal hielt Radegeis Vorträge auf den inzwischen verbotenen »Hetendorfer Tagungswochen«, einem Treff bekannter Neonazis.
All diese Zusammenhänge sind seit längerem bekannt. Die Antifa Braunschweig hat dem heute im niedersächsischen Vienenburg beheimateten Radegeis ein gesondertes Kapitel in einer Broschüre über die Neue Rechte gewidmet, die auch im Internet nachzulesen ist (www.puk.de/ antifacafe/broschuere.htm). In Blankenburg betreibt Radegeis nicht nur ungestört einen Mittelalter-Versandhandel namens »Dextrarius«, sondern gehört zu den tragenden Figuren eines Festes, das die Stadt jeweils mit Summen zwischen 30000 und 40000 Mark bezuschusste. Dass Radegeis aus dem Dunstkreis der Neuen Rechten kommt, will man bei der Nordharzer Altertumsgesellschaft, dem Veranstalter der Ritterspiele, indes nicht wahrhaben. Die Gesellschaft, der viele honorige Bürger der Harzregion angehören, sei ein »Verein mit wissenschaftlichem Anspruch« und »völlig unpolitisch«, schreibt der 1. Vorsitzende Heinz Behrens, der bis vor wenigen Wochen auch Bürgermeister von Blankenburg war. Ähnliches treffe für die zur Gesellschaft gehörige Rittertruppe zu, versichert der SPD-Politiker. Die Anschuldigungen gegen seinen Burgvogt seien geprüft und für haltlos befunden worden, sagt Behrens: »Wenn sich jemand mit germanischer Mythologie und Runen beschäftigt, ist er noch lange kein Nazi.«
Im Fall Radegeis darf diese Sicht angezweifelt werden. Beleg für dessen Gesinnung ist etwa eine hektografierte Broschüre unter dem Titel »Esoterik und Geheimpolitik«. Das ND vorliegende krude Pamphlet, das die Hintergründe einer angeblich die Weltherrschaft anstrebenden Verschwörung der »Hochfinanz« untersucht, strotzt von Fremdenhass und rechten Klischees. So heißt es, Folge der Zuwanderung von Ausländern in die Bundesrepublik sei ein »sprach- und charakterloses Kultur- und Menschengemisch«, das einer Weltregierung keinen Widerstand entgegensetzen könne. Der ungezügelte Zuzug sei indes nur möglich, weil das »gesunde nationale Selbstbewusstsein« der Deutschen infolge von Umerziehung versagt habe. Dem widersetze sich lediglich »die dumpfe Wut einiger weniger«. Teil der Umerziehung sei ein negatives Bild der deutschen Vergangenheit. So sei die Nazizeit in der Schule auf Grund von Anweisungen der Kultusministerien »als grundsätzlich schlecht darzustellen«. Das aber sei nicht korrekt. Auch den Holocaust zweifelt Radegeis an: »Was diesen heikelsten Punkt in unserer Geschichte angeht, so konnte für den ungeheuren Vorwurf der Vergasung von sechs Millionen Juden bisher kein Beweis erbracht werden.«
Im Kulturamt sieht man Bedarf für Neuausrichtung
In Blankenburg sieht man für eine neue Ausrichtung der Ritterspiele »dringenden Handlungsbedarf«, sagt Kulturamtsleiter Hasso Effler dem ND. Dafür seien neben politischen auch finanzielle Erwägungen ausschlaggebend: Zum einen habe der Altertumsverein als Ausrichter das Fest teilweise »wie ein Privatunternehmen geführt« und dabei das Vereinsrecht arg strapaziert; zum anderen ermittelt wegen der haushaltsrechtlichen Umstände der 2000er Finanzierung des Festes inzwischen die Staatsanwaltschaft. Zwar werde man in diesem Jahr wegen der Kürze der Zeit nochmals auf die Altertumsgesellschaft als Veranstalter zurückgreifen müssen. Im kommenden Jahr wolle die Stadt jedoch eine Agentur anheuern. Damit sollen auch die »Milites« weniger Einfluss auf das Fest haben
Ohne Widerstand dürfte dies nicht hingenommen werden. Amtsleiter Effler befürchtet »ein Hauen und Stechen«. Zwar ist der Radegeis-Verteidiger Behrens inzwischen abgewählt; allerdings sitzt ein weiterer prominenter Regenstein-Ritter im Stadtrat. Andernorts sieht man keine Notwendigkeit, von Harry Radegeis abzurücken. In Thale wurde zur diesjährigen Walpurgisnacht in der Verantwortung der Stadtverwaltung ein Mittelalterspektakel für Kinder veranstaltet, für das die Altertumsgesellschaft um Hilfe gebeten wurde. Einer der Akteure war Radegeis. Man habe nach einem einschlägigen Zeitungsartikel lange über dessen Engagement diskutiert, sagte eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung dem ND. Eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft habe jedoch »keinerlei Angriffspunkte« ergeben. Damit verfüge man über »keine Handhabe« gegen Radegeis. Und an einer Verleumdungskampagne gegen jemanden, der nirgends registriert ist, wolle man sich nicht beteiligen.
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