Organisator des Aufstiegs

Zum Tod von Ex-DTSB-Chef Manfred Ewald / Ewald führte die DDR zur zweitstärksten Sportnation

Der Mann, ohne den der weltweite Aufstieg des DDR-Spitzensports so gut wie undenkbar gewesen wäre, ist tot: Manfred Ewald (Foto: dpa). Er war von 1961 bis 1988 Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) und seit 1973 rund 17 Jahre lang auch Präsident des NOK der DDR. Ewald war seit 1963 Mitglied des Zentralkomitees der SED und Abgeordneter der Volkskammer. Ewald, am 17. Mai 1926 als Sohn eines Schneiders im pommerschen Podejuch geboren, trat 1938 in die Hitlerjugend ein und absolvierte in den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1943 eine Verwaltungslehre. Während dieser Zeit führte man ihn auch als NSDAP-Mitglied. 1944 wurde er - 18-jährig - zum Kriegsdienst eingezogen, geriet in sowjetische Gefangenschaft, wurde aber relativ frühzeitig entlassen. Nach Ende des Krieges gehörte Ewald 1945 zunächst der KPD an und wurde ein Jahr später Mitglied der SED und der Jugendorganisation FDJ, wo er sich als FDJ-Kreisvorsitzender in Greifswald hervortat. Ab 1948 übernahm er unterschiedliche Funktionen im Sport. Von 1948 bis 1952 fungierte er als Sekretär des damaligen Deutschen Sportausschusses. Von 1952 bis 1960 war er Vorsitzender des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport der DDR im Range eines Staatssekretärs. 1961 wurde Ewald nach über einjähriger Amtszeit als Vize zum DTSB-Präsidenten gewählt. Ewald ist zu Gute zu halten, dass unter seiner bis zur Perfektion gesteigerten preußisch-strengen Regie der DDR-Leistungssport einen weltweit unglaublichen Aufschwung nahm. In seiner Amtszeit übertrafen die DDR-Athleten bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München erstmals die drei Mal größere BRD. In den Jahren 1976, 1980 und 1988 stieg die DDR sowohl bei Winter- als auch Sommerspielen zur zweitstärksten Sportnation auf und war 1984 bei der Winter-Olympiade sogar die Nr. 1. Unter Ewalds Leitung erkämpften die DDR-Athleten bei den Olympischen Spielen 160 Gold-, 153 Silber- und 141 Bronzemedaillen. Ewald, der 1964 in Tokio auch Chef de Mission der damals gesamtdeutschen Mannschaft war, ordnete dem leistungssportlichen Aufstieg des DDR-Sports alles unter - auch um den Preis der 1968 beschlossenen Zurücksetzung anderer, nicht medaillenträchtiger olympischer Sportarten. Unbestritten ist, dass er ein fähiger Mann war, einer mit hohem Sportfachwissen, großer Detailkenntnis und enormer Organisationsfähigkeit. Aber er war auch einer, der zur Selbstherrlichkeit neigte, oft nach Belieben schaltete und waltete. Seine Rolle im Partei- und Staatsgefüge der DDR aber wuchs mit jeder Medaille, und durch die Erfolge der DDR im Weltsport wurde auch die internationale Anerkennung der DDR maßgeblich vorangetrieben. Seine Gegner sahen in Ewald eher einen »Sport-Diktator«. Doch die Erfolge gaben ihm und seinen Methoden Recht. Ewald erlebte seine persönlich wohl schmerzlichste Stunde, als er nach seiner Alkohol-Erkrankung - auf dem Rückflug von den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary war es erneut zu Alkohol-Eskapaden gekommen - auch für die DDR-Partei- und Staatsführung nicht mehr tragbar war und abgelöst wurde. Für seine Ablösung am 5. November 1988 wurden mit Recht »gesundheitliche Gründe« angeführt. Der vorzeitige Ruhestand wurde ihm mit der Verleihung des Karl-Marx-Ordens »versüßt« - zum dritten Mal. Eine auch in der ZK-Hierarchie ungewöhnliche Hervorhebung. Schon im Alter von 38 Jahren hatte er als erster Sportfunktionär den »Vaterländischen Verdienstorden in Gold«, eine der höchsten Auszeichnungen der DDR, erhalten. Der Tiefpunkt im Leben des Ex-DTSB-Chefs war die vom Berliner Landgericht im Juli 2000 gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, wegen »Beihilfe zur Körperverletzung« an 20 DDR-Sportlerinnen. Das Gericht machte ihn dafür verantwortlich, dass den Sportlerinnen in Unkenntnis gesundheitlicher Schädigungen Anabolika verabreicht wurden. Das Gericht sah in Ewald eine »treibende Kraft des DDR-Dopings«. Der Bundesgerichtshof verwarf 2001 Ewalds Revision gegen das Urteil. Ewald war sich allerdings keiner Schuld bewusst. In dem 1994 erschienenen Buch mit dem irreführenden und von ihm auch bestrittenen Titel »Ich war der Sport«, redete er seiner »Unkenntnis« über Dopingvorgänge im DDR-Sport das Wort: »Es stellt sich heute leider heraus, daß der Doping-Mißbrauch im Sport der DDR verbreiteter war, als unsere Leitung wußte bzw. unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer annahm«, heißt es darin. Nach der Wende verließ Ewald zusammen mit seiner Frau Vera - einer einst erfolgreichen DDR-Turnerin - Berlin und bezog ein Haus in Damsdorf (Potsdam-Mittelmark), wo er - gesundheitlich zunehmend stärker angegriffen - zurückgezogen lebte. Ewald verstarb am Montag im Alter von 76 Jahren in einer Klinik in Brandenburg/Havel an den Folgen einer Lungenentzündung. Er hinterlässt neben seiner Frau auch drei erwachsene Kinder. Die Beerdigung findet nach Auskunft seiner Familie am 23. November um 14 Uhr auf dem Friedhof in Damsdorf statt.
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