Der »Pizzo« für die Mafia

20 Milliarden Euro Schutzgeld werden jährlich von Händlern erpresst

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Weiterhin belasten die Aktivitäten der Mafia die italienische Wirtschaft. Vor allem Einzelhändler werden nach wie vor mit Zwangsmitteln zur Kasse gebeten.
Jede Stunde führen die italienischen Einzelhändler laut Schätzungen 2,3Millionen Euro an die Mafia ab, das macht im Jahr zusammen 20 Milliarden Euro. Die Einzelhändlergewerkschaft Confesercenti hat dieser Tage ihren neuesten Bericht über dieses Phänomen vorgestellt. Dessen Titel: »Die Hände der Kriminalität über den Unternehmen«. Insgesamt gehen laut dem Bericht durch die verschiedenen Formen der Kriminalität (Schutzgelderpressung, Wucher, Diebstahl, Raubüberfälle, Schmuggel und Betrug) dem Handel jährlich mindestens 60 Milliarden Euro verloren, vermuten die Gewerkschafter. Doch am meisten sorgt natürlich die Mafia und vor allem deren Schutzgelderpressung für Beunruhigung. Confesercenti schätzt, dass mindestens 160000 Einzelhandelsunternehmen betroffen sind. Die höchste Alarmstufe herrscht in Gegenden, in denen die organisierte Kriminalität besonders stark ist: Sizilien, Kalabrien sowie Kampanien, wo sich den mafiösen Methoden kaum jemand entziehen kann. »So weit wir das überblicken können«, heißt es in dem Bericht, »leidet in den Städtchen Gela (Sizilien) und Locri (Kalabrien) jeder Händler darunter.« Allgemein sind es aber eher die süditalienischen Großstädte, in denen die Schutzgelderpressung zum Alltag gehört: In Palermo und Catania sind 80Prozent der Geschäfte betroffen, in Reggio Calabria 70Prozent sowie in der Millionenstadt Neapel immer noch jeder zweite Einzelhändler - egal ob er Schuhe, Autos oder Möbel verkauft, ob er eine Kaffeebar oder eine Pizzeria betreibt. Der Kontakt zwischen der Mafia und den Opfern läuft genau so ab, wie man es aus Krimis kennt. Sehr gut hat das Tano Grasso beschrieben - der Mann, dessen Namen unauslöschlich mit dem Versuch der Betroffenen verbunden ist, sich gegen das Phänomen aufzulehnen. Grasso, Schuhverkäufer im Städtchen Capo d'Orlando bei Messina, hatte einen kleinen Laden, mit dem er seine Frau und seinen Sohn ganz gut ernähren konnte. Irgendwann vor zehn Jahren erhielt er seltsame Anrufe. Eine unbekannte Stimme legte ihm nahe, sich mit gewissen »Freunden« in Verbindung zu setzen, falls er verhindern wolle, dass seinem Geschäft, seiner Familie und ihm selbst etwas Böses zustoße. Doch statt an die Mafia Schutzgeld zu zahlen, ging der junge Kleinunternehmer zur Polizei. Und nicht nur das: Er sprach mit anderen Geschäftsleuten, wobei er feststellen musste, dass praktisch jeder seinen »Pizzo« an die Organisierte Kriminalität zahlte. Grasso gelang etwas, was vor ihm noch keiner geschafft hatte: Er schuf in der sizilianischen Kleinstadt eine Händlervereinigung gegen die Schutzgelderpressung. Denn, so war ihm klar, nur vereint kann man sich der Mafia widersetzen. Wenn viele Personen gleichzeitig Anzeige erstatten, kommen Einzelne aus der Schusslinie - und das ist wörtlich zu verstehen. Grasso und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass das Phänomen der Schutzgelderpressung überhaupt erst als etwas erkannt wurde, das die nationale Wirtschaft massiv behindert. Zumal es eine enge Verknüpfung mit Wucher gibt: Um den »Pizzo« zu bezahlen, wenden sich viele Händler an unsaubere Geldverleiher, die überhöhte Zinsen verlangen. Unternehmer gelangen dann oft schnell in eine mörderische Schuldenspirale, aus der sie sich nicht mehr befreien können. Am Ende werden viele gezwungen, ihren Laden über einen Strohmann der Mafia selbst zu überschreiben, wodurch die Trennungslinie zwischen legaler und illegaler Wirtschaft immer mehr verschwimmt. Heute, so sagt der diesjährige Bericht der Confesercenti, sind etwa 120000 Händler in den Fängen des Wuchers, der es auf einen Jahresumsatz von 25Milliarden Euro bringen soll. Grasso und seinen Mitstreitern gelang es schon vor einigen Jahren, ein Gesetz zu erkämpfen, mit dem ein Hilfsfonds für die betroffenen Unternehmer eingerichtet wurde. Doch das reicht bei weitem nicht aus. »Das Problem ist auch kultureller Art«, sagt der ehemalige Schuhverkäufer. »Die Politik muss dafür sorgen, dass die einzelnen Opfer den Institutionen mehr vertrauen, sie nicht resignieren, wenn sie von der Mafia bedrängt werden.« Die Regierung Berlusconi hat da allerdings ein wenig ermutigendes Zeichen gesetzt: Bei einer ihrer ersten Amtshandlungen wurde Tano Grasso, der inzwischen eine nationale staatliche Einrichtung gegen Schutzgelderpressung und Wucher leitete, von einem Tag auf den anderen aus seinem Amt entfernt.
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