Die Debatte um das so genannte Dosenpfand lässt vergessen, dass das Einfüllen von Getränken in Blechbüchsen eigentlich eine Pervertierung jener Erfindung ist, die Nahrungsmittel lagerfähig machen sollte - der Konservendose.
Bei ihrer Suche nach Massenvernichtungswaffen in Irak durchsuchten die Inspekteure der UNO dieser Tage in Bagdad und im 60 Kilometer östlich der Hauptstadt gelegenen Bakuba zwei besondere Objekte: Konservenfabriken.
Diese Nachricht mag überraschen. Dass die Experten nicht nach konserviertem Hammelfleisch fahndeten, dürfte indes außer Frage stehen. Doch immerhin: Der Zusammenhang von Krieg und Konserven hat in der Geschichte nicht nur Militärs interessiert. Es war der britische Schriftsteller George Orwell (1903-1950, »1984«), der in seinem 1937 veröffentlichten Buch »The Road to Wigan Pier« die Ansicht vertrat, ohne die Erfindung der Konservennahrung hätte der Erste Weltkrieg nie stattfinden können. In der Tat waren für die Versorgung der riesigen Massenheere an den Fronten die in Blechdosen konservierten Nahrungsmittel unverzichtbar. Was sich bis heute nicht geändert hat.
Orwell klagte die Konservenindustrie zudem an, mit ihren Produkten die Gesundheit der Engländer zu ruinieren. Seine düstere Prognose: »Es könnte sich herausstellen, dass Konservennahrung langfristig gesehen eine tödlichere Waffe ist als das Maschinengewehr.« Dabei erwies sich gerade auch in Notzeiten Dosenverpflegung als äußerst hilfreich. So heißt es in einem zeitgenössischen Tagebuch vom Deutschland des Jahres 1919: »Neuerdings giebts auch amerikanische Konserven: Weiße Bohnen mit 30 gr Speck, etwa 250 gr trockene Bohnen, diese zu 2 M das ½ K und den Speck zu 7,50 M gerechnet, so hat man annähernd den Preis von 1,50 pro Büchse. Wenig und teuer, doch etwas und nicht schlecht. Ferner Corned beef zu 3,50 M die Pfundbüchse.«
In Amerika, respektive den USA, begann die Konservendose einst ihren Siegeszug. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden während der Industrialisierung neue Methoden der Konservierung entwickelt. Hatte man beispielsweise Fleisch zuvor in der Regel durch Pökeln haltbar gemacht, trat nun die Blechbüchse auf den Plan. Während sie sich in Europa nur schleppend einbürgerte, wurde Nordamerika von ihr im Sturm erobert. Da dort der Transport von frischem Fleisch wegen der enormen Entfernungen ein großes Risiko war, ergriff die Industrie umgehend Besitz von der neuen Technik und trieb sie zu immer neuer Perfektion.
So wurde auf dem weltgrößten Schlachthof in Chicago lange vor dem legendären Bau des T-Modells von Ford am Fließband gearbeitet. Um 1850 konnten dort 200000 Tiere pro Tag »verarbeitet« werden. Wenn, wie es bisweilen passierte, ein Arbeiter in die Maschinen kam, verschwand er mit den Rindern in den Dosen.
Im konservativen Deutschland brauchten die Konserven etwas länger, um sich durchzusetzen. Zwar begehen die berühmten Halberstädter Würstchen derzeit ihr 120-jähriges Jubiläum. Deren Schöpfer, der Wernigeröder Fürst Friedrich Heine, versuchte allerdings erst 1894, die geräucherten Langfinger in Dosen zu stecken. Zunächst mit wenig Erfolg. Denn die »Halberstädter«, die man ihm 1895 auf der Gewerbeausstellung in Elbingerode vorsetzen wollte, waren allesamt verdorben. Doch ein Jahr später klappte es: Als Kaiser Wilhelm II. 1896 das Kyffhäuserdenkmal mit Massenpublikum einweihte, war Heine dabei - mit 40000 Paar Würstchen, drei Viertel in Konservendosen.
Die Getränkedose wurde erst Anfang der 30er Jahre kreiert - in den USA, wo 1933 die Brauerei Krueger die erste Bierdose der Welt auf den Markt brachte. Nach Europa kam sie dann im Gefolge der nach dem Zweiten Weltkrieg dort stationierten Einheiten der USA-Streitkräfte. Der »Eiserne Vorhang« wurde so auch zur Grenze der Getränkedosen-Zone.
Es war der Popkünstler Andy Warhol (1928-1987), der aus der Konservendose ein Kultobjekt machte. Seit er 1962 in der Ferus Gallery in Los Angeles eine Leinwand ausstellte, auf die 200 Mal die gleiche Suppendose der Firma Campbell gedruckt war, sind »Campbell's Soup Cans« Symbol der Pop-Art und zugleich künstlerische Materialisierung des Warhol-Mottos: »Everything is beautiful. Pop is everything.« (Alles ist schön. Pop ist alles).
Übrigens: Bei seinen Coca-Cola-Bildern bevorzugte Warhol stets Flaschen. Mit Getränkedosen hatte er offenbar wenig im Sinn. Möge dies den jetzt hier zu Lande geführten Kampf gegen diese Umweltfeinde weiter beflügeln.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen.
Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf
www.dasnd.de/genossenschaft