Nur eine Frage der Zeit

Neue Konjunkturschätzung

Dass die Halbwertzeit von Konjunkturprognosen bei einigen wenigen Monaten liegt, ist bekannt. Aber dass eine Schätzung schon bei ihrer Verkündung veraltet ist, verdient Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung hat gestern ihre Wachstumsschätzung von 1 auf 0,75 Prozent gesenkt - wohl wissend, dass andere Auguren bei bestenfalls noch 0,5 Prozent liegen. Nun könnte man sagen, was sollen die ganzen Zahlenspiele hinterm Komma. Die Zeichen stehen auf Stagnation, darin sind sich doch alle einig. Doch gemach: Offizielle Prognosen der Regierung schlagen auf die Haushaltsplanung nieder - je niedriger das Wachstum, desto niedriger die Steuereinnahmen. Hätte Rot-Grün die Schätzung stärker gesenkt, würde das Ausmaß des erneuten Finanzdesasters in diesem Jahr deutlicher werden. Wirtschaftsminister Clement kann jetzt argumentieren, die lange Unsicherheit wegen des Irak-Krieges habe für den leichten Dämpfer gesorgt. Damit drückt sich die Regierung mal wieder um die selbstkritische Erkenntnis, dass die eigene verfehlte Finanzpolitik eben auch den Konjunkturkarren nicht nur in den Dreck gefahren hat, sondern die Lage immer auswegloser macht. Fließen die Einnahmen wegen diverser Steuergeschenke weniger üppig, werden die Sozial- und Investitionsausgaben gekürzt. Dies würgt die Konjunktur ab, was als Argument für neue Geschenke herhalten muss, die dann wieder mittels sozialen Rotstifts kompensiert werden soll, was zu noch weniger Wachstum führt. An den Konjunkturdaten lässt sich abmessen, wie katastrophal die bisherigen Eichel-Jahre gewesen sind. Doch des Kanzlers Rezept lautet: Wir müssen unseren Weg schneller gehen! Schröders »Agenda 2010«, der der Geruch eines Jahrhundertwerks anhaftet, ist aus dieser Perspektive nichts weiter als Ausdruck finanzpolitischer Ratlosigkeit. Dies gestehen sich übrigens auch die internen SPD-Kritiker nicht ein, die lediglich leichte Abstriche an der Agenda einfordern. Leider benennen nur wenige Alternativökonomen das Problem. Der Mainstream der Wissenschaft, Regierung wie Opposition sind sich im Prinzip einig: Wenn der Patient mit einem Löffel Medizin kränker geworden ist, dann gib ihm eben zwei! Die nächste Revision der Konjunkturprognosen nach unten ist nur eine Frage der Zeit.
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