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  • Politik
  • Rudolstädter Prozeß gegen Thomas Dienel wurde zur Farce

Neonazi führte streckenweise Justiz vor

  • Lesedauer: 3 Min.

Es bleibt dabei: Die bundesdeutsche Justiz steht den rechtsradikalen und neonazistischen Ausfällen weiterhin ohnmächtig gegenüber. Die Verhandlung gegen den 3 lj ährigen Neonazi Thomas Dienel, Chef der Deutsch Nationalen Partei, geriet streckenweise zur juristischen Farce. Freimütig bekannte sich Dienel erneut öffentlich zu seinen rechtsradikalen politischen Ansichten, fand im Verhandlungssaal des Kreisgerichtes Rudolstadt gar eine Tribüne. Die Richterin Sabine Denst ebnete dem Angeklagten geradezu den Weg. Nicht sie führte ihn, Dienel führte die deutsche Justiz vor.

Angesichts dieses Verhandlungsverlaufes registrierten die Zuschauer eher verwundert, daß das Gericht mit seinem Urteil sogar über den An-

trag des Staatsanwaltes hinausging. Der hatte zwei Jahre und sechs Monate gefordert. Nach der Entscheidung des Schöffengerichts muß Dienel wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung nun sogar zwei Monate länger hinter Gitter.

Ein ums andere Mal nahm sich Staatsanwalt Walter Schmengler der Rolle des Richters an, gab der langwierigen Verhandlung Richtung und Sinn. Am Dienstagmorgen hatte Dienel fast eine halbe Stunde Zeit, seine politischen Überzeugungen ungeniert zur Schau zu stellen und seine Parolen zu wiederholen. Das makabre Schauspiel ähnelte seiner Hetzrede in der „Saaleblick“-Kneipe bei Saalfeld. Nach seinen Auslassungen lehnte sich der ehema-

lige FDJ-Sekretär, Bezirksparteischüler und Weimarer Stadtabgeordnete genüßlich grinsend zurück und meinte zur Richterin: „In dem Verfahren können sie mit mir machen, was sie wollen.“

Im September hatte Dienel in besagter Kneipe eine von Juden- und Ausländerhaß strotzende Rede gehalten und unter anderem den Völkermord an Juden geleugnet. Dienel machte auch kein Hehl daraus, am Tage nach dem Tode des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, zwei Schweinekopfhälften in den Vorgarten der Erfurter Synagoge geworfen zu haben. Kaum Regung bei ihm, als die Richterin den mit Blut beschmierten Zettel zeigte, der in einer der Kopfhälften steckte, und vorlas: „Dieses

Schwein Galinski ist tot. Noch mehr Juden müssen es sein.“

Schließlich hatte Dienel im März dieses Jahres in Weimar eine farbige Kellnerin mit rassistischen Äußerungen beleidigt, als diese von ihm forderte, vor einem neuen Gelage seine Außenstände zu bezahlen.

Staatsanwalt Schmengler wies Dienel immer wieder, aber erfolglos in die Schranken. „Auch als Angeklagter haben Sie keine Narrenfreiheit!“ Dienel murmelte zurück: „Aber Sie?“.

Am späten Dienstagabend warnte Schmengler in seinem Plädoyer davor, Fälle wie Dienel auf die leichte Schulter zu nehmen. Etwa 30 Journalisten berichteten von dem Prozeß. Auch das Ausland wird das Urteil genau registrieren.

HOLGER ELIAS

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