Kühn wirkten seine Fragen

Zwei Publikationen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen über Ralf Schröder

  • Gerhard Schaumann
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 75. Geburtstag Ralf Schröders war Anlass für ein Colloquium, mit dem die Persönlichkeit des 2001 verstorbenen Slawisten geehrt und seine Lebensleistung gewürdigt wurde. Die Beiträge von Freunden, Kollegen, Literaturwissenschaftlern und Schriftstellern vermittelten das Bild eines produktiven, ständig suchenden und konsequent seine Einsichten verfolgenden Wissenschaftlers. Seine Entwicklung, die in den ersten Jahren der DDR begann, war mit den Erwartungen verbunden, die viele seiner Generation in den Sozialismus setzten. Die Möglichkeit, direkt im Anschluss an sein Studium russische und sowjetische Literatur an der Karl-Marx-Universität zu lehren, wurde ihm schon nach wenigen Jahren entzogen. Schröder begriff sich von Beginn an als marxistischen Literaturhistoriker, für den es weder Denkverbote noch Dogmen gab. Sensibilisiert durch die nach 1956 einsetzende Kritik am Stalinismus entdeckte und analysierte er Autoren und Werke der Sowjetliteratur, die bis dahin von der offiziellen Kritik als angeblich ideologisch unklar und künstlerisch unbedeutend aus dem Verkehr gezogen worden waren. Das machte ihn der SED-Führung politisch verdächtig. Sie zeigte mit seiner Verhaftung 1957 und seiner Verurteilung zu 10 Jahren Zuchthaus, dass selbstständiges marxistisches Denken unerwünscht war. Es wurde als staatsfeindlich und konterrevolutionär qualifiziert. Nach seiner Haftentlassung 1964 verwehrte man ihm die Möglichkeit, an einer akademischen Einrichtung zu lehren. Die vorliegende Publikationen geben über persönliche Erinnerungen vor allem Einblick in die Arbeit Ralf Schröders beim Verlag Volk und Welt, wo er seit 1964 sein profundes Wissen und seine kulturpolitischen Vorstellungen zunehmend öffentlich umsetzen konnte. Maxim Gorkis Ideen über literarische Vererbung aufgreifend entwickelte er sie in großem Stil weiter. Sein Blick für das Bleibende wie das Neue in der Literatur eröffnete vorher so noch nicht gesehene Zusammenhänge: Gorki und Goethe, Ehrenburg und Gogol, Dostojewski und Bulgakow etwa wurden auf originelle Weise zueinander in Beziehung gesetzt. Sein übergreifendes Denken verknüpfte Geschichte, Politik, Philosophie und Literatur. Literaturtheoretische Arbeit und verlegerische Praxis bedingten einander. In vielen Beiträgen wird darauf verwiesen, wie Ralf Schröder seine Kontakte zu bedeutenden Autoren, wie z.B. zu Trifonow und Tendrjakow, und seine glänzenden Kenntnisse der klassischen russischen Literatur über seine Publikationen in die aktuelle Literaturdebatte einbrachte. Und sicher war es ein Glücksfall, dass er am Leipziger Literaturinstitut angehende Schriftsteller mit der russischen Literatur bekannt machte. Immer noch erstaunt auch heute die Kühnheit der Fragestellungen, die Großzügigkeit und Weltoffenheit seines ebenso strengen wie geschmeidigen Denkens. Man kann es nachvollziehen beim Lesen der von Winfried Schröder chronologisch zusammengestellten »Dokumente und Texte«. Neben einem geschlossenen Überblick über Leben und Werk Ralf Schröders wird auch Einblick in damit zusammenhängende DDR-Geschichte möglich, besonders also in Wissenschafts- und Kulturpolitik. Mit z.T. erstmalig veröffentlichten Aussagen von Ernst Bloch, Hans Mayer, Walter Markov, Werner Krauss und Gerhard Zwerenz wird deutlich, wie das Verfahren gegen Ralf Schröder Teil eines von oben organisierten Prozesses gegen undogmatisch denkende Wissenschaftler der Karl-Marx-Universität war. Ergänzt werden sie durch wesentliche Äußerungen Rudolf Bahros, Robert Havemanns und anderer Persönlichkeiten, die für einen demokratischen Sozialismus eintraten. Die ausgewählten Texte Schröders lesen sich vor diesem Hintergrund wie trotzige Versuche selbständigen historischen Denkens gegen opportunistische Anpassung und Geschichtsverfälschung. Gedacht wird immer in großen Zusammenhängen, für die er auch eine eigenständige Terminologie entwickelte. Begriffe wie Ideensyntax, Bilanzen, Zwischenbilanzen, Endzeitroman werden in seinen Aufsätzen übergreifend gebraucht und bedeutungsvoll greifbar. Eine ebenso spannende wie bewegende Lektüre. Jede künftige Arbeit zur Geschichte und Rezeption der russischen Literatur im 20.Jahrhundert wird Ralf Schröders Arbeiten zur Kenntnis nehmen müssen. Willi Beitz (Hg.): Ralf Schröder (1927-2001). Das schwierige Leben eines bedeutenden Slawisten. 114 S., brosch., 11 EUR. Winfried Schröder: Vom Reifen der Alternativen in der Tiefe. Ralf Schröders Lesarten der russischen und sowjetischen Literatur. 225S., 14 EUR. Beide Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen.
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