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ISAAK B. SINGER Solange es Schlachthöfe gibt, wird es Schlachtfelder geben. LEO TOLSTOI

  • Lesedauer: 5 Min.

men, die das Elend eindämmen. Das heißt, den Tierbestand erfassen, die Katzen zum Kastrieren bringen, damit sie sich nicht weiter vermehren, sie impfen lassen, in Häuser vermitteln und freilebende Gruppen füttern. Sobald es wärmer wird, wolle man, gemeinsam mit dem Tierhilfswerk, eine großangelegte Aktion auf früheren Ostsee-Zeltplätzen beginnen. Dort könne man mit Hilfe rechnen. Nur Querner mache ihnen Probleme. Dem Mann hätten sie schon zigmal geschrieben, damit er sie auf das Gelände läßt, das einst zur Warnow-Werft gehörte. „Die paar Leute, die der behalten hat, haben anderes zu tun, als sich der Tiere anzunehmen. Doch der läßt uns nicht rein“, wettert die Linkis, „dieser Herr ignoriert uns einfach.“

Endlich das Katzendorf im Gebüsch. Holzhäuschen, die als Futterstelle und geschützter Schlafplatz dienen. Hier stellen sie die Schüsseln ab, die mit einem „gesunden Gemisch“ aus Dosenfutter, Sahnequark, Mohrrüben und Knoblauch gefüllt sind. Zwei weitere Dörfer in Warnemünde und drei in Rostocker Neubaugebieten ha-

ben sie mit dem Tierhilfswerk eingerichtet, das sei auch „pädagogisch wichtig“ „Die Tiere kriegen wieder Wert, wenn die Leute merken, daß sich jemand kümmert. Dann wagen sie nicht mehr, gemein zu sein.“

Es klingt gemein, wie sie das sagt. Wie ihr die Verachtung entschlüpft, die sie neuerdings empfindet. Die Linkis ist zornig, wütend, schön. Sie muß geliebt worden sein, als sie jung war Und sie selbst muß geliebt haben. Wenn schon nicht die Menschheit en gros, dann doch wenigstens die Männer „Naja“, meint sie, „eigentlich nur einen. Der war aus südlichen Gefilden, wo die Menschen nicht so kalt sind.“

Ihr Blick versucht, über die Dünen zu klettern. Irgendwo dahinter dräut die Silhouette des Neptunhotels. Dort war sie Cafeleiterin. Sie erinnert sich „an die kühle, hochkarätige Atmosphäre, an Schalck und die Dame vom BND, „die wir niemals ansprechen durften“ Sie habe das Neptun verlassen müssen, weil ihre „Mädchen zu herzlich waren und ich über Gäste berichten sollte. Das wäre mir nicht richtig erschienen.“ Aber die Bitterkeit rühre nicht daher „Ich habe den Respekt erst verloren, seit ich

weiß, was Menschen den Tieren antun. Tierversuche, Tiertransporte, Genmanipulationen, Massenhaltung - je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Ekel stellt sich ein. Nicht Jutta, dir geht es ähnlich?“

Frau Krentzien-Schroeder hat keine Zeit mehr, um die Frage zu diskutieren. Bald kommt ihre Tochter aus der Schule, sie muß etwas zu Mittag kochen. Da inzwischen auch mein Magen knurrt, empfiehlt mir die Linkis ein Fischrestaurant. „Dort können Sie das Essen genießen. Fische werden nicht so barbarisch getötet. Und wie man weiß, haben sie ja auch kein so hochentwickeltes Nervensystem.“

Als ich später, wieder in ihrer Stube, beichte, daß ich beim Chinesen war, weil nicht alle Schreiber fürstlich verdienen, verzieht sie vor Abscheu die Mundwinkel. „Hauptsache, Sie haben gut gespeist. Ich hoffe nur für Sie, kein Fleisch. In Erfurt wurde letzten Monat so ein Lokal ausgehoben. Dort hat man nämlich das Fleisch von Mäusen, von Ratten und von Katzen gebraten.“ Sie weiß, daß mir speiübel wird. Das ist es ja, was sie bezweckt.

Barbara Linkis hat zu Mittag Rührei mit Zwiebeln gegessen. Speck gibt es nicht in ihrem Kühlschrank, sie ernährt sich vegetarisch. Das kommt raus, wenn Gefühl sich mit Verstand paart. Eine Philosophie, ein Weltbild. Die nötigen Fakten liefern ihr Publikationen des Tierhilfswerkes: Für einen ein-

zigen Hamburger müssen fünf Quadratmeter tropischen Regenwalds abgeholzt werden. Die Flächen, auf denen dann Futtermittel in Monokultur angebaut werden, veröden nach wenigen Jahren zu Steppe. Man braucht zehn pflanzliche Kalorien, um nur eine tierische Nahrungs-Kalorie zu erzeugen. Gleichzeitig verhungern weltweit täglich 40 000 Kinder Das Vieh der Reichen fresse so das Brot der Armen, zitiert die Linkis. Gewinner seien die Betreiber von Tierfabriken, in denen heute Milliarden Nutztiere Qualen erleiden, als reine Produktionsmaschinen. Angekettete Milchkühe und elektrische Kuhtrainer, Einzelhaft schon für winzige Kälber, Saugentwöhner, Schwanzkürzen und Dunkelstall gegen Kannibalismus, Hühner-KZ und coupierte Schnäbel, in den Schlachthöfen Angst, Töten im Akkord... „Wer davon weiß, kriegt kein Fleisch mehr runter “

Die Eier, die sie in die Pfanne haut, sind natürlich von Hennen aus Bodenhalturig. Die hofft sie bald auch bei Aldi zu kriegen, weil der Discounter gezwungen war, seinem langjährigen Geschäftspartner Goldhuhn-Pohlmann zu kündigen. Nachdem bekannt geworden war, daß der einen an

Salmonellose erkrankten Bestand, statt ihn einzuschläfern, elendiglich verrecken ließ, indem er einfach Luft-, Futterund Wasserzufuhr unterbrach. Daß sie eine Legebatterie bei Neubukow nicht verhindern kann, macht sie fertig. „Wir haben deshalb einen Brief an Ministerpräsident Seite geschrieben. Der ist ja früher Tierarzt gewesen und hat für unseren Verein hundertfünfzig Mark gespendet.“

Sie holf den Ordner, in dem „Jutta“ sämtliche Vereins-Korrespondenzen und Presseartikel abheftet. „Sehr geehrter Herr Dr. Seite! Wir möchten keine Utopien vorschlagen. Aber könnten in den vielen brachliegenden, ehemals genutzten Feldflächen nicht viele hundert kleinere Freiland-Hühnerhaltungen aufgebaut werden? Damit könnte man zugleich etlichen Menschen Arbeit beschaffen...“ Sie stöhnt auf: „Und nun die Antwort: Die Zahl der Legehennen wurde von 1 Million auf - hören Sie zu! - 792 000 reduziert! Dementsprechend die Arbeitsplätze. Herrje, ich kann es auch nicht ändern, ich kann mich nicht um alles kümmern.“

Felicitas, die eben noch Pascha und Penelope rund ums Kanapee gejagt hat, schmust eine Runde mit Barbara Linkis. Die braucht jetzt dringend Streicheleinheiten. „Ich habe sie aus Lanzarote, aus einem Tierheim, mitgebracht. Ich konnte es nicht dortlassen, dieses herrliche Wesen, nicht?“

Tiere in Not Warnemünde: Konto-Nr 2 949 683 BLZ 1.30 700

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