- Kultur
- Reportage - Burschenschaften
Der Fuchs dient dem Burschen
Seit1990 feiern studentische Verbindungen in Jena eine Renaissance. Die Burschenschaftler pflegen ihre Traditionen, bemühen sich gleichzeitig um Offenheit und sind doch in Anachronismen gefangen
Burschenschaftlern ist Tradition Verpflichtung
Die Geschichte der »Teutonia zu Jena« ist wechselvoll und geprägt vom Leitspruch der 1815 gegründeten Burschenschaft auf dem Burgkeller: »Ehre, Freiheit, Vaterland«. Zwei Jahre vor dem Wartburgfest war es vor allem der Kampf gegen die französische Vorherrschaft in Europa, die die Bildung dieser so genannten Urburschenschaft beeinflusst hatte. Die jungen Männer wandten sich gegen den »moralischen Verfall des Studententums« und die »nationale Zerrissenheit des deutschen Reiches«. Wie andere Burschenschaften trotzte auch die »Teutonia« in dieser Tradition den politischen Strömungen der vergangenen 200 Jahre. Sie überdauerte Bismarck, Hitler und Ulbricht, ohne sich dem jeweiligen System anzudienen. Ihre ursprünglichen Forderungen, unter anderem Rede- und Pressefreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, allgemeine Wehrpflicht, galten im 19. Jahrhundert als fortschrittlich. Und bis heute rührt daraus ein Selbstbewusstsein der Burschenschaftler, das an Unnahbarkeit grenzt.
Tradition ist den Burschenschaftlern Verpflichtung. Das wird bei einem Rundgang durch das Domizil der »Teutonia zu Jena« deutlich. Assoziationen mit kleinstädtischen Heimatkundemuseen drängen sich auf, denn an den Wänden hängen nostalgische Accessoires wie Schärpen und Mützen. Ein opulenter, mittelalterlich anmutender Kneipsaal, der regelmäßig von einer Putzfrau gesäubert wird, bestärkt den Eindruck, in eine elitäre Umgebung gelangt zu sein.
Dass auch die Gegenwart absurde Geschichten bereithält, wird beim Bier am Abend deutlich: Es wird nicht gemütlich getrunken, sondern hinunter gestürzt. Um die Wette. Den ganzen Abend lang. Sollten einem Bundesbruder im Eifer dieses Gefechts die Überreste der letzten Mahlzeit im Bart hängen - kein Problem. Auf der Toilette gibt es ein spezielles Becken mit großem Abfluss. »Ein Burschenschaftler muss in der Lage sein, große Mengen Bier zu konsumieren. Und da der menschliche Körper seine Grenzen bei der Flüssigkeitszufuhr hat, muss halt hin und wieder Platz geschaffen werden«, wird dem staunenden Gast erläutert.
Vorbei an Bildern von bemützten älteren Männern führt eine Treppe in das Heiligste des Verbindungshauses, den Paukboden. Die martialische Waffenschau in diesem Raum macht deutlich, dass hier die Säbel geschwungen werden. Wie in einem Fechtverein werden täglich Kondition und Technik gepaukt. Die Übungsklingen sind stumpf, doch beim studentischen Zweikampf, der Mensur, wird scharf gefochten. Nur die Augen sind dann geschützt. Unfälle seien aber dennoch die Ausnahme, erzählt Burschenschaftler Ralf. Auf die Frage, warum dennoch viele Burschenschafter durch Narben im Gesicht, die so genannten Schmisse, gezeichnet sind, folgt der lapidare Hinweis, dass gut trainierte Duellanten nichts zu befürchten hätten. Allerdings weiß die Putzfrau von blutverschmierten Kettenhemden zu berichten.
Die Mensur ist ein Bestandteil der elitären Folklore, der hier gepflegt wird. Sie gehört zum erzieherischen Brauchtum, mit dem Streitigkeiten zwischen den schlagenden Verbindungen ausgetragen wurden. Außenstehenden ist es bis heute nicht gestattet, diesen Duellen beizuwohnen. Das soll das Gemeinschaftsgefühl und die Feierlichkeit des Rituals stärken. Doch wenn Burschenschaftler ohne Gesichtsschutz aufeinander losgehen und im selben Atemzug über die Fortschrittlichkeit des Burschenschaftsgedankens belehren, ist das nicht leicht zu verstehen.
Kriegsdienstverweigerer werden aufgenommen
Die Entscheidung, den Säbel zu schwingen, ist die größte Hürde für eintrittswillige Neulinge. Zugleich dient sie der Verbindung dazu, die »Lauen« auf Abstand zu halten. Fast folgerichtig war bis in die 90er Jahre Kriegsdienstverweigerung mit dem Selbstverständnis und den Zielen der »Teutonia zu Jena« unvereinbar. Die Abschaffung dieses Grundsatzes weist auf ein Problem hin, mit dem vor allem die Burschenschaften in den neuen Ländern zu kämpfen haben: Die Rekrutierung von »Füchsen«, den Neulingen, geht nur schleppend voran. Verzeichnen Verbindungen in westdeutschen Studentenstädten wie Marburg, Erlangen oder Tübingen pro Semester zum Teil zweistellige Zuwachsraten, können ostdeutsche Verbindungen oft nur zwei oder drei »Füchse« aufnehmen.
Das Phänomen resultiere aus der Entwurzelung des Verbindungswesens in der DDR, die Burschenschaften verboten hatte, erzählt man sich in Verbindungskreisen. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten für ostdeutsche Studentenverbindungen Jahre des »Asyls« im Westen. Und nach der Wiedervereinigung war und ist das Korporationswesen dem schwer zu entkräftenden Vorurteil ausgesetzt, Burschenschaften würden sich am äußerst rechten Rand bewegen.
Aber die genauere Auseinandersetzung verdeutlicht, dass durchaus differenziert werden muss. Während die »Teutonia« als gestrenge, konservative Vertreterin ihrer Zunft gilt, ist etwa der »Jenenser Wingolf« als nicht schlagende, christliche Verbindung von anderem Charakter. Als »Spaßverbindung« bei den Burschenschaftern verspottet, verzichtet »Wingolf« auf die Mensur als Identifikationsfaktor. Der Glaube stiftet Gemeinschaft. Das national-konservative, rechte Studententum wird von der »Normannia zu Jena« repräsentiert, wobei diese Verbindung trotz erheblicher Bemühungen von den Jenenser Urburschenschaften keine Anerkennung erfährt.
Gehorchen, Bier holen und die Schuhe putzen
Beim Rundgang im Verbindungshaus der »Teutonia« und in Gesprächen fällt dem Besucher zunächst die Offenheit der Burschenschaftler auf - auch gegenüber anders Denkenden. Doch sie ist gepaart mit einer stoischen Unempfindlichkeit gegenüber Kritik. Wer einer Burschenschaft angehört, lernt mit Anfeindungen umzugehen. Gleichwohl wissen die jungen Männer, dass der Lohn eines studentischen Lebens im burschenschaftlichen Mikrokosmos auch beste Beziehungen in die höchsten Wirtschaftskreise einschließt. Denn dort ziehen die »alten Herren« der Burschenschaften die Fäden in wichtigen Positionen.
Kennzeichnend für die Jenenser »Teutonia« sind die vielen Anachronismen. Einerseits wird einem sozialen und kulturellen Anspruch Rechnung getragen. Die Burschenschaft veranstaltet Rhetorikseminare, Lesungen und Tanzabende. Und entgegen der Vorstellung des chauvinistischen Männerbundes leben im Schnitt vier Frauen im Studentenwohnheim der »Teutonia«. Auch ausländische Studierende finden nicht selten eine billige Bleibe in Verbindungshäusern.
Gleichsam wird der oft beschworene Kameradschaftsgeist durch zum Teil absurde Vormundschaften und Rangordnungen karikiert. Der »Fuchs« dient dem »Burschen«. Er holt Bier, putzt Schuhe, hat zu gehorchen. Das im Mittelalter beliebte Verbannen von Delinquenten findet heute seine Fortsetzung im so ge-nannten Farbentzug. Die Konsequenz für den Bestraften ist die soziale Isolation. Er darf weder mit seinen Bundesbrüdern sprechen noch an einem Tisch mit ihnen essen - eine Demütigung, die im für ihn schlimmsten Fall Ausschluss aus der Burschenschaft zur Folge hat. Da es Burschenschafter meist versäumen, außerhalb ihrer Kreise soziale Kontakte zu pflegen, eine Tragödie für Betroffene.
Sören ist noch dabei. Aber ein bisschen Pech hat auch er gehabt. Der ersehnte Bierorden geht trotz Rekordes an ihm vorbei. Er hätte ihn selbst anfertigen lassen müssen - zu teuer, selbst für einen Verbindungsstudenten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.