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  • Kultur
  • Theater des Ostens gastiert im Schloßtheater Potsdam mit „Die letzte Liebe des Marquis de Sade“

Tödliche Lebensgier

  • Lesedauer: 3 Min.

Hans-Peter Minetti in der Rolle des de Sade

Foto: PLATH + CO OHG

Die ewig unergründliche Figur des rebellischen Aristokraten de Sade, auf dessen hemmungslose Schilderungen sexueller Gewaltpraktiken der Sadismusbegriff zurückgeht, scheint die Phantasie deutscher Theaterleute immer aufs neue anzuregen. In den 60er Jahren war die de Sade-Version von Peter Weiss eines der erfolgreichsten und meistgespielten Stücke, in den 80er Jahren erregte das Stück des Japaners Yukio Ishima „Madame de Sade“ auf deutschen Bühnen großes Aufsehen, ein Spiel, in dem das Leben des Marquis nachwirkt in den Reflexionen der von ihm erniedrigten Frauen.

Nun ist Gregor Edelmanns Stück „Die letzte Liebe des Marquis de Sade“, gespielt vom Ensemble des Theaters des Ostens, in der Regie von Vera Oelschlegel zu sehen. Der vierzigjährige Autor greift darin eine Episode aus dem ereignisund leidensreichen Leben de Sades heraus. Verfolgt von seiner Familie, und von den herrschenden Jakobinern als unverbesserlicher Unhold abgestempelt, erleben wir den Titelhelden - 68jährig - im Irrenhaus von Charenton. Magdeleine, die schöne Tochter des Gefängniswärters, wird zum Gegenstand seiner noch einmal aufflammenden sexuellen

Phantasien und zu seiner gelehrigen, aber schlitzohrigen Schülerin. Am Ende aber wird dem de Sade die Lebensgier zum Verhängnis. Unmittelbar vor seiner Hochzeit mit der auf Geld und Adelstitel versesse-

nen Magdeleine erliegt er nicht ohne Mittun der Geliebten - einer Herzattacke.

Edelmann hat die Szenen nach eigenem Bekenntnis für Hans-Peter Minetti geschrieben. Der müht sich sichtlich, die theatralischen Wirkungsmöglichkeiten der Figur auszuschöpfen. Er balzt, tönt, jammert, echauffiert sich und umtanzt das Objekt seiner Begierde, er fällt ins hohe Falsett und formt die Lippen zum stummen Schrei; der Darsteller beweist Intensität und hohe

Sprachkultur - aber es tritt etwas Merkwürdiges ein. So sehr er sich ins Zeug wirft, er erreicht die Zuschauer nicht. Die Aufführung droht, zu einer Sprechoper zu geraten, zu einem fast zweistündigen Soloabend mit wirkungsvoll gesprochenen Texten, in die der Autor auch „Originaltöne“ der Titelfigur eingewoben hat. Das entscheidende Manko ist der Mangel an situativem Partnerspiel. Die permanente Zweikampfsituation! zwischen' dem' geistig überlegenen .gierigen alten Genießer und der nur scheinbar tumben Magd, die dem Abend Spannung hätte geben können, das Umschlagen der Situationen - das alles wird in wohltönender Rhetorik mehr behauptet als gespielt. In dieser szenischen Konstellation bleibt auch Patricia Eil als Magdeleine blaß. Was naiv sein soll, wirkt herzig, plebejische Deftigkeit angestrengt.

Daß die Aufführung von der fiktiven „Vierten Wand“ scheinbar hermetisch abgeriegelt ist, hat noch andere Ursachen. Edelmanns Stück ist nicht ohne dramaturgisches Geschick grundsolide gebaut und liefert dem bildungshungrigen Zuschauer eine Fülle von Informationen, aber seine Sprache ist nur selten von zupackender gestischer Qualität.

Hinzu kommt: Das Bühnenbild Reinhart Zimmermanns, ein mit schmalen Stangen und Stricken angedeuteter Käfig, in das der Held eingeschlossen ist, hat zwar unaufwendige Durchsichtigkeit, vergrößert

aber die Distanz des Handlungsortes zum Zuschauerraum. Warum dann der zur Heirat entschlossene, sein Leben resümierende de Sade seinen Käfig verläßt, das Prinzip der Hermetik also durchbro-

chen wird, erschließt sich nicht mit zwingender Logik. Eine Aufführung, die den schmalen Orchestergraben im kleinen Theaterchen nur selten überspringt. Schade.

VOLKER TRAUTII

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