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Warum sollen Rentner in der Gewerkschaft bleiben?

JOACHIM TÖPPEL, IG-Metall-Vorstandsmitglied, engagiert sich für Ältere - sie brauchen und bieten Solidarität

  • Lesedauer: 4 Min.

Joachim Töppel Foto: dpa

Die Zukunft der Gewerkschaften ist gegenwärtig in der Debatte. Die IG Metall macht da keine Ausnahme. Im Oktober muß die IG Metall auf ihrem Gewerkschaftstag kritische Bilanz ziehen. Ist die Gewerkschaft nur für die noch im Arbeitsprozeß Stehenden da? Wie arbeitet sie mit anderen Gruppen - so mit den in die Rente Entlassenen? JOACHIM TÖPPEL, Mitglied des IG-Metall-Vorstandes und dort auch zuständig für die Seniorenarbeit, äußert sich zu diesem Thema im ND-Gespräch. Immerhin sind in der IG Metall 561 434 Seniorinnen und Senioren organisiert, das entspricht einem Anteil von ca. 19,2 Prozent der Mitglieder.

Während des Arbeitslebens gibt es verschiedene Gründe, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Warum sollen Rentner in der IG Metall bleiben?

Seniorinnen und Senioren sind nach unserem Verständnis nicht nur die „klassischen“ Rentner, sondern auch Sozialplaner, Altersübergängler und Vorruheständler Seit einigen Jahren vollzieht sich in der Wirtschaft etwas, verstärkt nach der deutschen Einheit, was viele politisch Verantwortliche nur noch registrieren. Der Anteil der Menschen, die in immer jüngerem Alter aus dem Berufsleben gedrängt werden, nimmt rapide zu. Ihre Berufs- und Lebenserfahrungen werden auf das sogenannte Abstellgleis geschoben; sozial verträglich, wie das so vieldeutig heißt.

Das Leben im Ruhestand fängt immer früher an. Eine Erfahrung, die Ostdeutsche (ebenso wie die der Arbeitslosigkeit) einer Schockwirkung gleich hunderttausendfach machen mußten. Darum brauchen und verlangen viele Senioren verstärkt gewerk-

schaftliche Orientierung und Beteiligung. Die IG Metall würde unglaubwürdig, wollte sie dene.n, die ihr im Berufsleben jahrelang die Treue hielten, im Ruhestand keine politische Heimat bieten. In ca. 170 örtlichen Seniorenarbeitskreisen wird dies bundesweit, sicher mit unterschiedlicher Tradition und Intensität, praktiziert. Abgesehen von den Satzungsrechten und Leistungen (wie kostenlosem Rechtsschutz bei Prozessen vor dem Sozialgericht oder bei Streitfällen mit den Trägern der Sozialversicherung, mit Versorgungs- und Arbeitsämtern) für die Senioren, stärkt deren Mitgliedschaft die politische Willensbildung der Arbeitenden.

Das wichtigste Aktionsfeld der IG Metall ist der Betrieb, das stärkste Druckmittel der Gewerkschaften sind Streiks. Wie können sich Gewerkschafter im Ruhestand einbringen?

Das vorrangige Ziel unserer Gewerkschaft ist es, die Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern oder, wie in den letzten Jahren wiederholt not-

wendig, erkämpfte Besitzstände zu verteidigen. Die Seniorinnen und Senioren sind nicht nur im Arbeitskampf aktiv und am Erfolg beteiligt. Sie sind auch durch die gesellschaftspolitische Ausstrahlung direkt gefordert. Streik bedeutet für uns nicht nur die Verweigerung der Arbeitskraft als letztes Druckmittel zur Durchsetzung berechtigter Forderungen, sondern auch eine Demonstration gewerkschaftlicher Solidarität. Diesen Zusammenhang von gemeinsam Erkämpftem und der notwendigen Solidarität müssen wir noch deutlicher vermitteln.

Viele Verbände, die großen Parteien kümmern sich verstärkt um die Älteren. Warum gibt es keine Seniorengewerkschaft im DGB?

Die Senioren erwarten von ihrer Gewerkschaft nicht in erster Linie Betreuung. Von besonderer Bedeutung sind Angebote zur Beteiligung am aktuellen gewerkschaftlichen Geschehen. Dort, wo Arbeitskreise ihre Aktivitäten als Hilfe zur Selbsthilfe organisieren, findet unsere Seniorenarbeit große Akzeptanz. Der direkte Bezug zur eigenen Gewerkschaft, die unmittelbare Identifikation, die sich im Berufsleben entwickelt und ausgeprägt hat, geht in der Regel auch im Ruhestand nicht verloren. Eine Seniorengewerkschaft kann dieses Stück vertraute politische Heimat nicht bieten; gewerkschaftlicher Bezug würde anonymer

Wie haben die IG-Metall-Senioren auf den Umbruch im Ergebnis der Vereinigung Ost-West reagiert?

Gemeinsame Veranstaltungen und Seminare unserer IG Metall-Verwaltungsstellen von Ost und West haben zur Verständigung beigetragen. In der Mitgliederbetreuung, die unsere Seniorenarbeitskreise in den Verwaltungsstellen teilweise übernommen haben, konnten wir gute Erfahrungen aus der ehemaligen Veteranenarbeit der DDR übernehmen und auch in die alten Bundesländer transportieren. Dies gilt besonders für die in vielen Verwaltungsstellen neu aufgebaute Mitgliederbetreuung in Wohngebieten.

Ältere Mitglieder haben nur Einfluß auf örtliche gewerkschaftliche Entscheidungen. Bei den bundesweiten Gewerkschaftskongressen fehlen sie. Fürchtet der IG-Metall-Vorstand, Senioren mehr Beteiligung zuzugestehen?

Nein. Die Einrichtung eines Ressorts Seniorenarbeit nach dem letzten Gewerkschaftstag unterstreicht die wachsende Verantwortung älteren Mitgliedern gegenüber Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Erneuerung kann die IG Metall auf das gewerkschaftspolitische Gewicht der Mitgliedschaft nach dem Berufsleben nicht verzichten. Doch nach den Entscheidungsstrukturen der IG Metall gibt es keine zentral gesteuerte Seniorenarbeit. Die Verantwortung liegt auf örtlicher Ebene.

Die Senioren haben die Möglichkeit, sich als Delegierte zur Vertreterversammlung in den Verwaltungsstellen wählen zu lassen. Derzeitig sind knapp 20 Prozent unserer Mitglieder in den Vertreterversammlungen der Verwaltungsstellen Seniorinnen und Senioren. Dies entspricht nahezu ihrem Anteil an der Gesamtmitgliedschaft. Auch bei der Delegiertenwahl zum Gewerkschaftstag haben die Seniorinnen und Senioren Beteiligungsrecht. In einigen Verwaltungsstellen wurden sie bereits als Delegierte bzw Gastdelegierte zum Gewerkschaftstag gewählt. Sie haben also überall Sitz und Stimme.

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